Hier wird gebetet und meditiert: Andachtsraum im Zürcher Flughafen. Foto: Keystone/Mirjam Wanner.

«Mir genügt: Dein Wille geschehe»

Beten ohne Gott - geht das?

Im neuen Buch des Jesuiten Niklaus Brantschen geht es um gottloses Beten. Billige Provokation oder cleveres Marketing? Ist beten, ohne sich an Gott zu wenden blasphemisch? Zwei Theolog:innen aus dem Kanton Bern denken über diesen umstrittenen Ansatz nach.

Aufgezeichnet von Marcel Friedli

Ohne Gott beten klingt paradox und provoziert. Für Niklaus Brantschen funktioniert das, auch als Jesuit. Für ihn bedeutet gottloses Beten: meditieren ohne Worte (siehe Kasten).

Wer würde zuhören?

Felicitas Ameling, Theologin in St. Marien Bern, kann damit persönlich wenig anfangen – hält andere Ansätze indes für möglich und legitim. «Für mich persönlich bedeutet beten: im Gespräch, in Verbindung mit Gott zu sein. Einem Gott, der sich im Laufe der Jahrtausende immer wieder gezeigt hat. Er ist für mich ein personales Gegenüber. Im Gespräch sein heisst meiner Ansicht nach: reden, zuhören, gemeinsam auf dem Weg sein, kontaktreiche und kontaktärmere Zeiten erleben und aushalten. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne ein Gegenüber zu beten – wer würde mir zuhören? Vor wem könnte ich ruhig werden? An wen soll ich meine Gebete richten? Beten ist für mich ein Moment des Angenommenseins und der Verbundenheit. Für mich braucht es dazu ein Gegenüber. Ob dieses Gegenüber für alle Menschen Jahwe, Allah oder eine andere personalisierte Gottheit sein muss, dessen bin ich mir nicht sicher. Es ist meines Erachtens möglich, zu etwas anderem zu beten als zu Gott: ein anderes Gegenüber zu haben, durch Musik oder Kunst ergriffen zu werden. So tritt man in ein Gespräch – betet ebenso.»

Beten weit gefasst

Wie Felicitas Ameling findet auch Stefan Signer, Pfarrer aus Frutigen, die Vorstellung eines Gegenübers beim Beten zentral. Seiner Meinung nach kann man auf viele Arten beten. «Einige mögen es als Provokation empfinden oder stutzen, wenn man betet, ohne sich an Gott zu wenden. Ich persönlich teile diese Meinung nicht. Auch wenn mir selber die Vorstellung eines Gegenübers hilft, mit dem ich in Beziehung bin. Damit bin ich aufgewachsen, da bin ich hineingewachsen. Das stützt mich persönlich. Wobei jeder Mensch eine individuelle Verbindung herstellt. Das kann die Idee eines Gegenübers sein. Oder eine summarische Vorstellung von etwas Höherem, Grösserem. Von etwas, das über den Menschen hinausweist – dass man sich im grossen Ganzen aufgehoben fühlt. Still werden, meditieren, spazieren: Das können manche als Beten empfinden. Oft sind die Übergänge fliessend: Wende ich mich an ein Gegenüber, Gott genannt – oder bin ich mit dem Geheimnis des Lebens verbunden?

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen es nicht gewohnt sind zu beten. Sie sind froh, wenn man als Pfarrer etwas sagt und es in ein Gebet kleiden kann. Sie erwarten dies von einem Fachmann. Früher hatte ich Respekt, mit anderen spontan zu beten. Mit der Zeit habe ich erkannt, dass es helfen kann: Wenn jemand anders Worte findet, die man selber in diesem Moment verloren hat. Oder wenn man Worte spricht, die fast alle kennen: das Vaterunser zum Beispiel.

Beten kann man weit fassen. Auch Rituale oder Gesten helfen, Unsagbares und Unsägliches auszudrücken: eine Kerze, die man anzündet und hinstellt. Eine Geste, die man macht. Einen Gegenstand deponieren. Oder über die Nase, wenn man Weihrauch riecht.»

Den spirituellen Weg suchen
«Gottlos beten» heisst Niklaus Brantschens neues Buch. Der Untertitel «Eine spirituelle Wegsuche» öffnet Räume, weist hinaus: auf das Suchende und die Vielfalt an Möglichkeiten, Glauben und Spiritualität zu leben. Für diese Vielfalt steht der 83-Jährige selbst: Er ist zum einen Jesuit und zum anderen Zen-Praktizierender. Als solcher ist für ihn beten ohne Gott kein Widerspruch: Man meditiert ohne Worte. «Eine radikale Bewegung des Herzens auf ein Geheimnis hin», präzisiert er in einem Interview.
«Dieses Geheimnis ist das, was uns umfängt und durchdringt, in dem wir leben und uns bewegen. Das, was grösser ist als wir. Das, was unsagbar ist.» Ebenso vertraut ist dem Leiter des Lassallehauses die christliche Tradition: «Ich bete heute noch, wie ich das als Kind getan habe.» Dabei bitte oder bettle er nicht um etwas Konkretes. «Mir genügt: Dein Wille geschehe.» Nebst dem Beten thematisiert Niklaus Brantschen in seinem neusten Buch auch das Älterwerden, das Sterben – und die Liebe.

Buchtipp
Niklaus Brantschen: Gottlos beten. Eine spirituelle Wegsuche, Patmos, 2021.

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