Pia Krähenbühl: «Kirchenentwicklung ist eine Gratwanderung, die man mit Fingerspitzengefühl und vielen Gesprächen angehen muss.» Foto: Pia Neuenschwander

Mit vier Ms durch vier Jahrzehnte

Nach 42 Berufsjahren in katholisch Thun geht Pia Krähenbühl in Pension.

Sie war Katechetin, Seelsorgehelferin und die gute Seele der Pfarrei St. Martin – nach 42 Berufsjahren in katholisch Thun geht Pia Krähenbühl nun in Pension.

Text: Anouk Hiedl / Fotos: Pia Neuenschwander

Etwas abseits des Trubels liegt das Thuner Café Heer, ein sympathisches Lokal mit Fairtrade-Kaffee und hausgemachten Leckereien. Noch bevor wir etwas bestellt haben, bekommen wir ein Glas Wasser. «So soll Kirche sein!», sagt Pia Krähenbühl und beginnt zu erzählen. Als 19-Jährige stiess sie kurz vor ihrem Ausbildungsbeginn zur Krankenschwester auf einen Prospekt des Katechetischen Instituts Luzern. «Da wusste ich – Katechetin ist, was ich machen will.» Als Heimweh-Bernerin sah sie sich im dritten Studienjahr für ihr Praktikum im Berner Oberland um. In der Thuner Pfarrei St. Martin gefiel es ihr. Nach einem Gottesdienst bewarb sie sich an der Kirchentür beim damaligen Pfarrer. Dieser holte sie ins Boot, erst als Praktikantin, ab 1981 dann als Katechetin und Seelsorgehelferin.

Von Anfang an bekam Pia Krähenbühl Einblick «in alles». Sie war an fast jeder Sitzung dabei, brachte Menschen die Kommunion nach Hause, hielt Wortgottesdienste in Altersheimen, sprang in Spiez ein, als der Pfarrer dort starb und half in Thun bei Seelsorgegesprächen aus. «Was sollte ich denn sonst machen, wenn jemand ausdrücklich mit einer Frau sprechen wollte?» Dass sie in der dualen Kirchenstruktur die erste pastorale Berner Kantonsangestellte mit einem Katechesestudium wurde, war damals noch ein grosses Politikum.

Neue Wege suchen

Anfang der 1980er war die Pfarrei St. Martin zehn Jahre alt und im Aufschwung begriffen. «An Schulabschluss-Gottesdiensten spielten mindestens viele Blauringleiterinnen Gitarre, und zu Rorate-Feiern mit anschliessendem Zmorge kamen immer rund 120 Kinder.» Auch reformierte Gspänli seien vorbeigekommen, «um allein oder klassenweise zu schauen, was wir da machen», blickt Pia Krähenbühl zurück.

Heute sei katholisch Thun anders unterwegs. Die zwei Pfarreien St. Martin und St. Marien arbeiten vermehrt zusammen, was grösstenteils beim Religionsunterricht angefangen habe. Seit vier Jahren teilen sich Pia Krähenbühl und Conny Pieren die Co-Leitung der Katechese, sie haben ein gemeinsames Team und Büro. «Der Unterricht findet bis zur Erstkommunion vorwiegend in der eigenen Pfarrei statt. So schaffen wir für die Kinder eine kirchliche Heimat.» Danach finden monatliche, pfarreiübergreifende Blöcke und Projektanlässe statt. Diese Umstellung weg vom wöchentlichen Unterricht in der eigenen Pfarrei erfordere von den Familien und Pfarreien Goodwill und Toleranz. Auch im Unterrichtsteam gebe es immer wieder Baustellen. «Dennoch sind wir gut miteinander unterwegs und versuchen, mit unseren Ideen einer Katechese ‹out of the box› den Wandel in der Kirche zu unterstützen», sagt Pia Krähenbühl.

Gratwandern

In katholisch Thun herrsche aktuell «einiges an Unruhe». Einzelne Gruppen in St. Martin und St. Marien arbeiten zwar schon zusammen, für eine definitive Zusammenlegung der beiden Pfarreien ist es gemäss Pia Krähenbühl aber noch zu früh. In der Volkskirche der 1980er sei vieles aufgeblüht, neue Gruppierungen entstanden und funktionierten. Heute fehle es an Leuten, die mithelfen. Die Gesellschaft habe sich verändert, habe andere Bedürfnisse, und es gebe viel mehr Freizeitangebote. «Die Kirche hat an Priorität verloren. Wenn die Leute nur zu den grossen Festen kommen, bringen sie alte Bilder und Vorstellungen von Kirche mit, so wie sie sie vor Jahrzehnten erlebt haben. Man darf nicht zu viel aufs Mal verändern, sonst erkennen sie nichts mehr und kommen gar nicht mehr. Kirche weiterzuentwickeln ist eine Gratwanderung. Das muss man mit Fingerspitzengefühl und vielen Gesprächen angehen. Der Theologe Christian Hennecke sagt, Kirche sei ein Mischwald – will man eine neue Baumsorte pflanzen, kann man nicht einfach alle alten Tannen ausreissen.»

Pia Krähenbühl beobachtet, dass die Kluft zwischen konservativen und kirchenfernen Katholik:innen grösser geworden ist. «Heute fühlen sich die Menschen freier, ihren Glauben auch ohne die Institution Kirche zu leben.» Gerade kürzlich habe sie dies wieder erlebt: im Wald, bei einer Beerdigung mit besinnlichen Worten, einem Vaterunser, Patent Ochsners Lied «Es Glas uf d’Liebi» und dem abschliessenden Beisammensein bei Bratwurst und Mütschli.
Wie kommen wir an jene heran, die sich für Spiritualität interessieren? Wo und wie können wir Menschen zusammenführen, die mit Glaubensfragen unterwegs sind? Das sind Fragen, die Pia Krähenbühl immer wieder umtreiben. Wenn sie an einer Thuner Tanzschule mitbekomme, wie sich unterschiedlichste Menschen dort treffen, Freuden und Sorgen teilen und einander Rat und Hilfe anbieten, bestärkt das ihre Ansicht, «dass auch solche Formen gelebte Kirche sein können».

Mit Kopf, Hand und Herz

In der Freiburger Gassenküche, die Pia Krähenbühl mit Firmlingen besuchte, hiess es: «Wir haben ein M mehr als die Migros: Man muss Menschen mögen.» Dieses Motto passe auch zu ihr. Mit Kindern und Erwachsenen unterwegs zu sein, war ihr stets wichtig. Den Glauben erfahren, teilen und diskutieren habe sie in den letzten vier Jahrzehnten stets motiviert. Ein Highlight waren für sie «die Ministrant:innen – das sind einfach coole Kinder!». 22 Jahre lang war Pia Krähenbühl für sie zuständig und hat dabei auch eine Oberminigruppe aufgebaut. «Es war immer eindrücklich zu sehen, wie alle Minis zwischen neun und 34 Jahren gut zusammenarbeiten, einander coachen und wie dabei Freundschaften entstehen.»

Pia Krähenbühl war unter der Leitung von vier sehr unterschiedlichen Chefs tätig – von Pfarrer Alois Stammler über Franz Scherer und Kurt Schweiss bis hin zu Ozioma Nwachukwu. Einen Stellenwechsel hat sie in ihren 42 Berufsjahren nie in Betracht gezogen. «Ich habe immer gern gearbeitet und fand es schön, dafür auch noch Geld zu bekommen.» Als Präsidentin der kantonalen katechetischen Kommission und Expertin der modularen Ausbildung für Katechet:innen, ForModula, war sie stets auf dem neusten Stand, und ihre Tätigkeit blieb so auch bei ein und derselben Arbeitgeberin spannend.

Pia Krähenbühl sieht es als Privileg, «dass ich so lange so habe arbeiten dürfen». Ihr Mann, ihre drei Kinder und viele weitere Menschen hätten sie dabei unterstützt, getragen und begleitet. «Nur so und im Vertrauen auf Gott konnte ich beschenkend und beschenkt unterwegs sein.» Ihre Nachfolge soll «ein grosses Herz» mitbringen. Sie selbst freut sich, nun terminlos leben zu dürfen, mehr Zeit zu haben und Teil der Pfarrei zu bleiben – als Sakristanin, Lektorin und Gläubige.

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