Rifa’at Lenzin ist Präsidentin der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft Schweiz (Iras) und Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Palästina. Das geht nicht zusammen, finden jüdische Vertreter im Iras-Vorstand und sind aus Protest zurückgetreten. Die interreligiöse Organisation sucht nun im internen Dialog nach einer Lösung – mit am Tisch sitzt auch die jüdische Vertretung.
von Barbara Ludwig, kath.ch
Die Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin ist eine der bekanntesten Stimmen im interreligiösen Dialog in der Schweiz. Seit 2012 präsidiert die Muslimin die Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz (Iras Cotis). Und noch länger, nämlich seit 2010, ist sie Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Erst am Sonntag jedoch wurde durch einen Bericht in der «NZZ am Sonntag» in einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass Rifa’at Lenzin auch Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Palästina (GSP) ist.
Der Verein ist dem Bericht zufolge stark israelfeindlich. So habe Präsident Geri Müller 2012 als Grünen-Nationalrat Vertreter der radikalislamischen Terrororganisation ins Bundeshaus eingeladen. Die Organisation bezeichne Israel als «kolonialistischen Apartheidstaat» und rufe zum Boykott bestimmter Produkte aus Israel aus.
«Vertrauensbruch gegenüber jüdischer Gemeinschaft»
Seit den Terroranschlägen gegen Israel habe die GSP mehrfach problematische Stellungnahmen abgegeben, schreibt die «NZZ am Sonntag». So habe sie letzte Woche zum Beispiel ein Gedicht mit einem Nazi-Vergleich auf Facebook gepostet: «Darin werden die Palästinenser mit gequälten KZ-Häftlingen in Auschwitz während des Zweiten Weltkrieges verglichen.»
Jüdische Vertreter im Vorstand von Iras Cotis akzeptieren die Mitgliedschaft von Rifa’at Lenzin in der Gesellschaft Schweiz-Palästina nicht. «Das stellt einen grundlegenden Vertrauensbruch gegenüber der jüdischen Gemeinschaft dar», sagte Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), zur «NZZ am Sonntag». Er und ein weiterer Vertreter eines jüdischen Dachverbandes haben per sofort den Vorstand von Iras Cotis verlassen.
Juden fordern: entweder – oder
Die beiden Juden fordern, dass Rifa’at Lenzin als Iras-Präsidentin oder als Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Palästina zurücktritt. Gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte Kreutner, für die jüdische Gemeinschaft sei eine «unmissverständliche Distanzierung von dieser Gewaltorgie und den Tätern» zwingend – gemeint ist der Grossangriff der Hamas am 7. Oktober. «Indem Frau Lenzin ihre Mitgliedschaft in der GSP nicht zurücknehmen will, legitimiert sie damit auch die Position und die Aussagen der GSP in den letzten Wochen», wird Kreutner von Keystone-SDA zitiert.
Der Austritt der beiden jüdischen Vertreter aus dem Vorstand sei zunächst ein Protest. Falls Rifa’at Lenzin keine Konsequenzen ziehe, würden die fünf jüdischen Mitgliedorganisationen ihre Iras-Mitgliedschaft in Frage stellen.
Geschäftsleiterin stellt sich hinter Präsidentin
Katja Joho, Geschäftsleiterin von Iras Cotis, verteidigt die Iras-Präsidentin. Rifa’at Lenzin habe sich immer gegen Rassismus, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit engagiert und eine «konstruktive und ausgewogene Vorstandsarbeit» mit den sehr unterschiedlichen Mitgliedern gefördert, schreibt Joho auf Anfrage von kath.ch. Die «NZZ am Sonntag» bezeichnete die Rifa’at Lenzin im Titel als «Vermittlerin, die spaltet». Diese Aussage kann Joho nicht nachvollziehen. «Als Präsidentin von Iras Cotis hat sie sich im Gegenteil als konstruktive und kreative Brückenbauerin erwiesen.»
Dialog auch mit jüdischen Kritikern von Rifa’at Lenzin
Von der Mitgliedschaft der Islamwissenschaftlerin bei der GSP habe man «im Rahmen der Anfrage der NZZ am Sonntag» erfahren, schreibt Joho. In der Krise, die durch den Rücktritt der beiden jüdischen Vorstandsmitglieder und die Berichterstattung der Zeitung entstand, setzt die Organisation auf internen Dialog. Mit dabei sind laut Katja Joho auch die Juden: «Die jüdische Vertretung ist bereit – trotz des Rückzugs aus dem Vorstand – in allernächster Zeit gemeinsam am Tisch zu sitzen und nach Lösungen zu suchen. Der Dialog ist jetzt wichtiger den je, davon sind wir überzeugt.»
Iras Cotis existiert seit 31 Jahren. Dem Verein gehören rund 80 Religionsgemeinschaften und Organisationen an, die sich für den interreligiösen Dialog engagieren. Mit dabei sind unter anderem Alevit:innen, Baha’i, Buddhist:innen, Christ:innen, Hindu, Juden und Jüd:innen, Muslim:innen und Sikhs.