Bild 1: Die Gassenarbeiterin Eva Gammenthaler hört zu, berät und hilft weiter.

Bild 2: Karen Frauchiger unterstützt auf der Gasse und im Büro. Fotos: Ruben Sprich.

Niemand soll draussen bleiben

Solidarität für die kirchliche Gassenarbeit

Seit 33 Jahren ist die kirchliche Gassenarbeit Bern für Menschen da, die aus dem sozialen Netz gefallen sind. Neu kann man sie als Vereinsmitglied unterstützen.

Von Sabrina Durante

«Hast du etwas Münz für mich?» Wer beim Bahnhof so angesprochen wird, geht rasch weiter, ohne den Menschen auch nur anzublicken. Wenn aber Eva Gammenthaler und Karen Frauchiger von der kirchlichen Gassenarbeit Bern zusammen unterwegs sind, gehen sie auf die Fragenden zu, stellen sich vor, fragen, wie es geht, ob er oder sie etwas braucht. In der schwarzen Tasche haben sie immer etwas Kleines zu essen dabei, saubere Spritzen, Kondome, Gutscheine für Essen, zum Duschen oder für die Notschlafstelle.

Wen treffen sie auf der Gasse an? «Das können Menschen sein, die obdachlos sind oder sich vorübergehend keine Wohnung leisten können, die Suchtprobleme haben, psychische Schwierigkeiten… das Spektrum ist sehr breit». Nicht jedes Anliegen der Menschen auf der Gasse lässt sich mit einem Schwatz lösen: «Dann laden wir diese Menschen zu uns ins Büro ein», erklärt Eva Gammenthaler. «Dort können wir in Ruhe zuhören, beraten, weiterhelfen».

 

Durch die Maschen gefallen

Gibt es Begegnungen, die sie besonders berührt haben? Jede Geschichte ist einzigartig, doch Eva Gammenthaler denkt häufig an einen Fall zurück: «Vor fast fünf Jahren lernte ich im Winter einen älteren Mann kennen, einen Auslandschweizer, der eigentlich vorgehabt hatte, zu seiner Tochter in die Schweiz zu ziehen. Das ging aber aus verschiedenen Gründen schief, und so fand er sich auf der Strasse wieder. Man könnte meinen, so etwas könne bei uns nicht passieren, und doch war er völlig durch die Maschen des sozialen Netzes gefallen. Ich ging mit ihm alle Schritte durch, damit er wieder zurück in unser Sozialsystem fand: auf der Gemeinde anmelden, eine ID beantragen, AHV und Sozialleistungen aufgleisen … Mittlerweile hat er eine eigene Wohnung, bekommt die Rente und die Ergänzungsleistungen, die ihm zustehen, und hat auch eine Herzoperation gut überstanden. Während dieser Jahre ist eine schöne Beziehung zwischen uns gewachsen, und er schaut regelmässig im Büro vorbei.»

 

Zwischen vier Monate und 80 Jahre alt

Das Büro der kirchlichen Gassenarbeit Bern befindet sich seit Anfang September am Sennweg, im Länggass-Quartier. Zwei Nachmittage pro Woche ist das Büro der Gassenarbeit offen: dienstags nur für Frauen, donnerstags für alle. Und es kommen auch wirklich alle möglichen Leute: Obdachlose, Suchtkranke, Arbeitsmigrant*innen, alleinerziehende Mütter, alte Menschen, Flüchtlinge. «An einem Donnerstag können gut 80 bis 120 Personen und rund 15 Hunde vorbeikommen», erzählt Eva Gammenthaler. «Die jüngste Person ist vier Monate, die Älteste über 80 Jahre alt.

Alle Themen, mit denen man im Lauf eines Lebens konfrontiert wird, kommen hier zur Sprache: Gesundheit, Rente, Geld, Krankheit, Alter, psychische Probleme, Schwangerschaft, Geburt, Tod. Ein grosser Teil unserer Arbeit ist der Umgang mit den verschiedenen Ämtern: Sozialamt, IV, AHV, aber auch Arzttermine vereinbaren». Die offenen Nachmittage werden von den Klient*innen auch gerne dazu genutzt, Kontakte zu pflegen, einen Kaffee zu trinken, den Computer zu benutzen, oder sich aus der Gebrauchtkleiderkiste etwas zu holen. «Das Leben auf der Gasse ist oft stressig», findet Karen Frauchiger. «Hier kommen sie ein bisschen zur Ruhe».

Solidarität ist gefragt
Seit ihrer Geburtsstunde vor 33 Jahren wird die Berner Gassenarbeit durch die katholischen und reformierten Kirchgemeinden finanziert. Da diese seit einigen Jahren kontinuierlich Mitglieder verlieren, will der Trägerverein ein neues Standbein aufbauen: Ab Januar 2022 können Institutionen und Privatpersonen Mitglied werden und sich so solidarisch mit den Menschen auf der Gasse zeigen. Für Privatpersonen beträgt der Beitrag 50 Franken pro Jahr. «Ein kleiner Betrag, der Grosses bewirken kann», findet Eva Gammenthaler, «der Weg nach unten ist manchmal schneller, als man denkt».

Weitere Infos: www.gassenarbeit-bern.ch
Mitglied werden: www.gassenarbeit-bern.ch/unterstuetzen
Facebook-Kampagne: #wesnidlängt

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