«Das, was die Kirche mit diesen Mitteln bewirkt, das macht sie arm oder reich», sagt Generalvikar Markus Thürig. Foto: Bistum Basel

Nur Machtmissbrauch ist «böse»

Markus Thürig, Generalvikar des Bistums Basel, zum dualen System der Schweiz

Der Generalvikar des Bistums Basel, Markus Thürig, bricht eine Lanze für die Schweizer Kirchenstruktur.

Interview: Christian Breitschmid

Welchen Vorteil hat das duale System gegenüber anderen Strukturformen der Kirche, wie es sie ausserhalb der Schweiz gibt?

Markus Thürig: Der alte römische Rechtsgrundsatz «Was alle angeht, muss von allen gebilligt werden», kann besser erfüllt werden. Dem paulinischen Bild von der Kirche als Leib Christi und den Gliedern, die ihre jeweilige Verantwortung tragen, wird nachgelebt. Schliesslich entspricht das auch der Schweizer Kultur.

Welche Nachteile bringt dieses System aus Sicht der Bistumsleitung mit sich?

Wo mehr beteiligte Personen handeln, wird der Einfluss von deren Stärken und Schwächen grösser. Eigene Interessen, Vorurteile, Kenntnisse, Charaktereigenschaften prägen Gespräche und lassen sie gelingen oder scheitern. Das duale System stellt hohe Anforderungen an gegenseitiges Wohlwollen, vereinbarte Ziele und offene Kommunikation, damit alle wissen, was sie wissen müssen.

Durch die staatskirchenrechtliche Verwaltung der Kirchensteuergelder ist die Kirche bei vielen Geschäften und Entscheiden abhängig vom guten Willen einer säkularen Behörde. Wie sinnvoll ist das, respektive wie beurteilen Sie dieses Machtverhältnis?

Staatskirchenrechtliche Gremien sind keine säkularen Behörden. Ihre Mitglieder sind Getaufte, Glieder der Kirche, die sich für das Leben der christlichen Gemeinden einsetzen. Für ein fruchtbares Zusammenspiel braucht es beidseitig das notwendige Wissen und Können, Lernbereitschaft und die Liebe zur Kirche.

Macht die Kirche in Bezug auf das duale System einfach gute Miene zum bösen Spiel, weil durch dieses System doch anständige Löhne und angenehme Arbeitsbedingungen ermöglicht werden – bis hinauf ins Ordinariat in Solothurn?

Den Frauen und Männern, die in staatskirchenrechtlichen Gremien arbeiten, «böses Spiel» zu unterstellen, weise ich zurück. Sie sind, wie ich auch, darum bemüht, ihre Aufgaben zum Wohl der kirchlichen Gemeinschaft zu erfüllen. Dabei können wir uns reiben, uns in unserer Zuständigkeit übergangen empfinden oder in unserer Absicht missverstanden. «Böse» wird es, wenn einzelne ihre Macht missbrauchen, Konfrontation suchen oder andere Meinungen klein machen.

Der Bischof hat zwar die Ernennungsgewalt, erteilt die Missio, aber wenn eine Kirchgemeinde sich gegen einen Priester/Seelsorger entscheidet oder einen anderen anstellen will, dann kann sie, Kraft ihrer Mittel, auch gegen den Willen des Bischofs handeln. Sind solche Kämpfe durch das duale System nicht vorprogrammiert?

Auch hier: Wo es zum «Kampf» kommt, ist schon Vieles schief gelaufen, das man nicht dem dualen System anlasten darf. Menschen kämpfen gegeneinander, nicht Systeme. In der Regel akzeptieren die Anstellungsbehörden, dass der Bischof Seelsorgerinnen und Seelsorger einsetzt, und umgekehrt akzeptieren Seelsorgerinnen und Seelsorger, dass die bischöfliche Beauftragung ihnen ihre Sendung gibt.

Wie lassen sich solche Kämpfe verhindern, wie sie zum Beispiel im Wasserschloss oder in Bad Zurzach entstanden sind?

Indem die handelnden Personen das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche verstehen und mittragen. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt in Artikel 8 der dogmatischen Konstitution über die Kirche «Lumen gentium»: «Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft sind nicht als zwei verschiedene Grössen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.» Die sakramental-göttliche und die verfasst-weltliche Seite der Kirche sind zusammenzuhalten, sonst kommt es zu Schieflagen. Und dazu: Reife Menschen in Leitungsaufgaben können mit Spannungen versöhnlicher umgehen.

In unserer durch und durch säkularisierten Welt hat das Wort eines Bischofs offensichtlich kaum mehr Gewicht. Wird der Bischof, werden die Priester durch das duale System nicht noch mehr vorgeführt als willfährige Popanze und Ritualgestalter im Auftrag der alles steuernden Finanzhoheit, während sie sich in allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen gefälligst ruhig zu halten haben?

Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche kann auch das kirchliche Leben treffen. Jesus Christus hat seiner Jüngergemeinschaft mit auf den Weg gegeben, dass sie in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt sei. Das Wort des Evangeliums rückt immer wieder zurecht und motiviert zum selbstlosen Wort. Alle Märtyrerinnen und Märtyrer der Kirche bezeugen die Freiheit, die Christenmenschen erfüllen kann.

Im Fall von Bad Zurzach hat die staatskirchenrechtliche Seite offensichtlich dem Priester seine pastoralen Kompetenzen streitig gemacht. Wie kann sich die Kirche gegen solche Übergriffe wehren?

Die Einführung von Leitungspersonen in ihre jeweiligen Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortungen bildet das Fundament. Diese Schulung übernimmt das Bistum für die Leitungspersonen in der Pastoral. Die kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaften schulen neue Behördenmitglieder. Regelmässig führen falsche Erwartungen, ein überhöhtes Selbstverständnis oder ein zu umfassendes Verantwortungsgefühl zu Auseinandersetzungen zwischen Leitungspersonen.

Die staatskirchenrechtliche Seite des Systems hat sich im Verlaufe der vergangenen 150 Jahre zu einem Verwaltungsapparat aufgebaut, der einen erheblichen Teil der Kirchensteuern verschlingt. Wäre es nicht sinnvoller, wenn die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen diese Gelder direkt erhielte, um sie da einzusetzen, wo sie gebraucht werden?

Die Verwaltung der Kirche ist effizient und entspricht der föderalen Struktur der Schweiz und dem Prinzip der Subsidiarität. Lohntabellen sind generell ein heikles Thema. Schon als Pfarrer habe ich mich gefragt, warum staatskirchenrechtliche Gremien für jede Sitzungsstunde honoriert werden, pastorale Gremien aber freiwillig tagen. Wenn die finanziellen Mittel weniger werden, wird sich zeigen, ob eine gerechte und angemessene Mittelverteilung obsiegt.

Papst Franziskus redet immer wieder der «armen Kirche» das Wort. Wäre die Aufhebung des dualen Systems nicht ein Schritt in diese Richtung? Die Kirche würde dann von denen getragen, die sich wahrhaftig für sie einsetzen und sie mittragen wollen. Der ganze Überbau würde wegfallen und die Kirche würde wieder da stattfinden, wo sich die Gläubigen versammeln, die Gemeinschaft pflegen, füreinander da sind, dem Wort Gottes lauschen und Tischgemeinschaft halten.

Gegen den Vorwurf, sie würden bloss einen Überbau zu ihren Gunsten am Leben erhalten, verteidige ich die Getauften, die sich heute in unserer Kirche engagieren. Was wäre gewonnen, wenn die Schweizer Bevölkerung drei Viertel ihres Vermögens und ihrer Einkünfte verschenken würde, um einfach arm zu sein? Es sind nicht die finanziellen Mittel an sich, welche die Kirche arm oder reich machen. Das, was die Kirche mit diesen Mitteln bewirkt, das macht sie arm oder reich. Das bleibt eine Herausforderung, ein Anspruch.

Wie sähe für Sie, den Generalvikar des Bistums Basel, die perfekte Kirchenstruktur der römisch-katholischen Kirche aus?

Ich hoffe, es wird nie eine perfekte Organisation geben, denn Perfekt ist eine Zeitform der Vergangenheit, einem Organismus wie der Kirche wünsche ich Gegenwart und Zukunft. Was der Verkündigung des Evangeliums dient, ist willkommen. Was das Leben für viele Menschen lebenswert macht, ist willkommen. Was uns hilft, Jesu Christi Heilswerk für alle Menschen für wahr zu halten und dankbar anzunehmen, ist willkommen.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst im Aargauer Pfarreiblatt «Horizonte».

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