Düfte wecken Erinnerungen. Foto: Carly Mackler, unsplash.com

«O frischer Duft, o neuer Klang…»

Zum Frühlingsanfang

Wenn morgens der Kaffee seinen Duft entfaltet, heben sich die Lebensgeister. Und wenn der Frühling einzieht, ist die Nase ganz besonders empfänglich für die Düfte der Blumen. Mit Wonne schnuppert auch die Katze an den zarten Gräsern. Wieder einmal merken wir, dass der Geruchsinn uns am meisten mit den Tieren verbindet.

von Béatrice Eichmann-Leutenegger

Aromen wehten auf dem Schulweg an das Kind heran, sobald es das Haus verliess, wo noch der Duft des mütterlichen Aqua mirabilis im Korridor hing: Eau de Cologne 4711. Aus der Fabrik mit ihrer Cellophan-und Folienproduktion gleich gegenüber drangen Gerüche ins Freie, die von der Nachbarschaft schlichtweg als «chemisch» bezeichnet wurden. Vor dem nächsten Haus glaubte das Kind die befremdlichen Noten von Spiritus wahrzunehmen und sah die Gläser vor sich, in denen der Chirurg die Mandeln einlegte, welche er herausoperiert hatte – so erzählten es dem schaudernden Kind die Arztsöhne.


Von frischer Bettwäsche und Heu

Wie verführerisch waren jedoch die Düfte von Felchlins Schokolade, die über die Strasse hinweg jeden einlullten. Der Bauernhof wiederum sandte einen Geruch aus, welchen das Kind nicht einordnen konnte. Es war der Trester, die Grundlage für den begehrten Kaffee Träsch, wie der Vater erklärte. Gleich gegenüber stand die Villa des Destillateurs, der seine Kirschflaschen bis nach Amerika verschickte. Nun aber setzte sich der Weg seriöser fort bis hin zum Bundesbriefarchiv, über dessen breite Treppe der altväterische Duft der Pergamente wallte.

Angeregt hat solche Erinnerungen das bezaubernde Buch des lothringischen Autors, Filmemachers und Regisseurs Philippe Claudel (*1962). 2012 erschien sein Buch «Parfums», dessen Titel an jenen des Weltbestsellers von Patrick Süskind denken lässt («Das Parfum», 1985). Unter dem Titel «Der Duft meiner Kindheit» lag es 2014 in deutscher Sprache vor. In 63 Momentaufnahmen, mit einem Duft überschrieben, weckt Claudel die schlummernden Düfte seiner Jugend auf: frische Bettwäsche, Tanne, Tomatensosse, Linde, Heu, Drogerie, Sonnencreme, Aftershave – so heissen einzelne Stichworte, die das Universum der Aromen einer Kindheit erschliessen.


Berner Düfte

Auch Berns Duftspuren sind in die Literatur eingegangen. Paul Nizon, 1929 in der Bundeshauptstadt geboren und seit 1977 in Paris lebend, gilt als sinnenfreudiger Autor wie kaum ein anderer. Er wuchs in der Länggasse auf, die ihm als Kosmos eigener Gesetzlichkeit vorkam. Erst als Gymnasiast erkundete er auch die Altstadt und schrieb 1974 im Essay «Geboren und aufgewachsen in Bern»:

«In den Lauben liegt Geschäft neben Geschäft, man taucht in ein Gerüchtegemisch, in dem sich der feine Duft von Nelken mit dem starken Aroma gerösteten Kaffees und beides mit den Ausdünstungen der Charcuteriewarenläden und mit dem Parfum der Damen mischt; auch Patisserie, Schokolade und Wein liegen als Duftspur in der Laubenluft…»


Bulgakows Pilatus - wenn Düfte krank machen

Düfte bergen eine Kehrseite – das weiss, wer an Migräne leidet und das Aroma bestimmter Gewächse als Auslöser für den bohrenden Schmerz kennt. Michail Bulgakow (1891-1940), der in Kiew geborene Arzt und Autor, schrieb in den dreissiger Jahren einen phantasiereichen, verschachtelten Roman. Dieser durfte in der Stalinzeit nicht veröffentlicht werden und erschien erst 1966/67 als gekürzte Serie in einer Literaturzeitschrift.

«Der Meister und Margarita» schildert in den ersten Kapiteln das Verhör Jesu bei Pontius Pilatus. Über die Terrasse zieht bitterer Rauch aus der Küche in den Säulengang, vermischt mit dem «fettigen Rosenduft» der Gärten. Pilatus, ein von Migräne (Hemikranie) Geplagter, greift sich an den Kopf und erblasst:

«O ihr Götter, ihr Götter, wofür straft ihr mich? Ohne Zweifel, das ist sie wieder, die unbesiegbare furchtbare Krankheit, die Hemikranie (…). Es gibt keine Mittel gegen sie, keine Rettung vor ihr…».


Der Duft in der Bibel

Duftsubstanzen wie Myrrhe, Narde, Weihrauch, Aloe kennen wir aus den biblischen Erzählungen. Sie sind erlesene Geschenke, der Könige würdig wie in der Weihnachtsgeschichte. Das Herz der Ministrantinnen und Ministranten schlägt höher, wenn ihnen erstmals das Weihrauchgefäss übergeben wird. Wer sich auch zu Hause Düfte gönnen will, kann im Zürcher Klosterladen «Oremus» ein «liturgisches Parfüm» bestellen: Lavendel, Jasmin, Rose von Jerusalem oder Cherubim.
 

…O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sey nicht bang!
Nun muss sich Alles, Alles wenden.

Nachlesen kann man diese Sätze im Gedicht «Frühlingsglaube» von Ludwig Uhland (1787-1862). Er schrieb sie 1812, in bewegter Zeit, und Franz Schubert vertonte sie später. Im gleichen Jahr, am 24. Juni 1812, marschierte Napoleon mit seiner Grande Armée in Russland ein. Verlustreich endete sein Feldzug, doch welche Hoffnung auf Veränderung steckt in den Zeilen des Dichters!

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