«Der neue Fokus auf Solidarität war ein Erfolg der Pandemie. Wir können auch zusammen, wenn wir nur wollen.» Foto: iStock/doble-d

Optimismus ist Pflicht

Zuversicht ist angesagt, sagt Rouven Porz, Ethiker am Inselspital.

Wir sollten versuchen, zuversichtlich ins neue Jahr zu schauen – optimistisch. Gemäss Sir Karl R. Popper möchte ich sogar sagen: «Optimismus ist Pflicht.»

Autor: Prof. Dr. Rouven Porz, Medizinethik und ärztliche Weiterbildung, Inselspital Bern

Das Jahr 2020 war nicht leicht. Es gab Corona-Krisen, Erkrankungen, Infizierte, Trauerfälle, und vielleicht sogar mehr Todesfälle als sonst. Es gab Wertekonflikte, ethische Unklarheiten und Ungerechtigkeiten, es wurde viel diskutiert darüber, wie viel man von der so genannten Freiheit des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gesundheit opfern darf und ob ökonomische Interessen wichtiger seien als Menschenleben.

Es gab Scheindiskussionen, Verschwörungstheoretiker, Angstmacher und selbsternannte Corona-Apostel, Home-Schooling, mehr häusliche Gewalt und Verschlimmerungen bei psychiatrischen Erkrankungen. Und als ich im Mai 2020 gelesen habe, dass Millionen von Kindern in Afrika wegen der coronabedingten Schulschliessungen keine warme Mahlzeit mehr am Tag bekommen, und mir dieser Zusammenhang zwischen Schule und Essen gar nicht bewusst war, da wurde mir aufgrund meines eigenen Unwissens ganz kurz ein wenig schlecht.

Dabei ist Nicht-Wissen eigentlich nichts Schlimmes. In der Wissenschaft ist Mehr-wissen-wollen sogar der eigentliche Antrieb für Forschung und Innovation. Die Erkenntnis von Nicht-Wissen kann auch Demut auslösen. Und hier sind wir bei dem Wissenschaftsphilosoph Sir Karl R. Popper angekommen, der sich genau über solche Themen Gedanken gemacht hat: Wie viel wissen wir eigentlich? Popper fand, wir wissen fast nichts. Er schreibt dazu an einer Stelle: «Unsere Situation ist immer die eines schwarzen Mannes, der in einem schwarzen Keller nach einem schwarzen Hut sucht, der vielleicht gar nicht dort ist.»
Er wollte sagen: Wir verfügen kaum über sicheres Wissen, wir vermuten bloss. Wir hoffen, dass wir irgendwo einen Lichtstrahl entdecken, aber wir sitzen Irrtümern auf, wir machen Fehler und sind ständig damit beschäftigt, unsere Fehler zu korrigieren. Leben ist immer Problemlösen. Die Unsicherheit gehört dazu. Diese Gedanken finde ich unheimlich beruhigend.

Popper wurde 1902 in Wien geboren und ist 1994 in London gestorben. Er erhielt über 20 Ehrendoktortitel im Laufe seines Lebens und wurde 1965 von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen, woraus sich das ‹Sir› vor seinem Namen erklärt. Er war ein begnadeter Redner und seine Vorträge strotzen vor Klarheit und Bescheidenheit. Er wusste: Die Unsicherheit ist eigentlich immer dabei. Und genau das hat uns dieser kleine Virus 2020 wieder vor Augen geführt.

Die grössten Wissenschaften, Technik und Errungenschaften nützen nichts, wenn Dich der falsche Virus erwischt. Wir sind nicht die Herrscher der Welt. Alles Leben ist Problemlösen, immer noch. Und deshalb war der neue Fokus auf Solidarität gar keine schlechte Idee, sondern ein Erfolg der Pandemie. Wir können auch zusammen, wenn wir nur wollen.

Blicken wir also bewusst positiv nach vorn. Wir haben es alle in der Hand. Wir sind alle mitverantwortlich. Und in diese Geisteshaltung passt das eingangs erwähnte Zitat von Sir Popper ganz gut. Hier schliesst sich jetzt der Kreis und deshalb jetzt in voller Länge: «Die Zukunft ist offen. Sie ist nicht vorausbestimmt. Daher kann sie niemand voraussagen, ausser durch Zufall. Die Möglichkeiten, die in der Zukunft liegen, gute sowohl wie schlimme, sind unabsehbar. Wenn ich sage ‹Optimismus ist Pflicht› so schliesst das nicht nur ein, dass die Zukunft offen ist, sondern auch, dass wir alle sie mitbestimmen, durch das was wir tun: Wir alle sind mitverantwortlich für das, was kommt.»


 

 

Karl R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen, 1997, Pieper, erwähnte Zitate S. 139 u. 326.

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