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«Orientier dich am Licht»

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Am 2. Februar ist Lichtmess. Für mich ist Lichtmess mit der manchmal zauberhaften Erfahrung einer neuen Lichtqualität verbunden, bei der mir deutlich wird, dass die dunkelste Zeit hinter uns liegt und die Tage wieder länger werden.

«Orientier dich am Licht» ist allerdings eine Aufforderung, die mir aus dem Kalender «Der andere Advent» auf der Seite zum 6. Januar geblieben ist. «Orientier dich am Licht» gaben mir Caspar, Melchior und Balthasar dort mit auf den Weg in meine Orientierungslosigkeit und Suche anfangs Jahr. Und an sie erinnerte ich mich in einem akuten Care-Einsatz.

Ein Patient war ganz ausser sich geraten, war in einem anhaltenden Weinkrampf, weinte und weinte. Es gelang ihm dann doch, sich wieder zu fassen. Er begann zu erzählen, fing an, die Kette von Ereignissen und Einsichten Perle um Perle aufzureihen. Schon vor Covid habe viel auf ihm gelastet und seit März 2020 erst recht. Das alles habe er durchgestanden und getragen. Nun endlich standen Ferien in Aussicht, doch neue hindernde Massnahmen wegen der steigenden Fallzahlen stellten sie wieder in Frage. Aber es sei ihnen gelungen hinzureisen. Sie haben tatsächlich die Destination erreicht, ein schönes Logis vorgefunden, eine wunderbare Landschaft, tolles Wetter. Sich wohlgefühlt. Nicht lange – da kam sein Unfall. Um die Rückreise aus der Ferne zu organisieren, habe er immer noch gut funktioniert.

Einmal sagte er zu mir: Er sei eben auch so ein Träger, einer der viel übernehme, sich auflade, auch stellvertretend. Er schien da eine Parallele zu meinem Beruf zu sehen. Doch fuhr er gleich fort: Das sei in Ordnung und mache er gern.

Aber dann, ein Telefonat mit einer Frau von der Versicherung, bei der er Menschliches ganz empfindlich vermisste, dann noch ein Missverständnis zuungunsten einer nicht muttersprachlichen Mitarbeitenden, die wegen einem Notfall im Zimmer ausgebrochen war, hat für ihn das Fass zum Überlaufen gebracht: «Da kannst du alles zum Guten drehen, dich einsetzen in Güte und versuchen, aufbauend zu sein, und jedes Mal bekommst du wieder eine Ohrfeige, die dich zu Boden fegt.» Ich zuckte zusammen. Glaubt er an ein böses Gesetz?

In mir regt sich Einspruch! «Orientier dich am Licht …!» Geh Schritt um Schritt. Mach kein Gesetz. Du weisst noch nicht. Lass offen und schreib nicht fest. Eine neue Geburt, wie uns das Weihnachtsfest gezeigt hat, ist ein neuer Anfang. Da kann Neues werden. Ungekanntes.

Ingrid Zürcher, ref. Seelsorgerin

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