Der Dirigent Christoph Cajöri in seinem Element. Foto: Ruben Sprich

«Orthodoxer Gesang ist Gottesdienst»

Kirchenklangfest Cantars

Im Rahmen des Kirchenklangfests Cantars wird in der Berner Dreifaltigkeitskirche rund neun Stunden lang Kirchenmusik zu hören sein. Christoph Cajöri etwa lässt mit dem «Pro Arte»-Chor gregorianische Gesänge und Kompositionen der orthodoxen Liturgie von Tschaikowsky und Rachmaninow erklingen.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Ist es in der aktuellen Situation schwierig, russische Musik aufzuführen?

Christoph Cajöri: Meiner Meinung nach darf man russische Musik spielen – ja, man soll, man muss es tun! Die über Jahrhunderte gewachsene Kultur eines Volkes und die Gräueltaten eines Regimes, das den Bezug zur Realität völlig verloren hat, sind zwei total verschiedene Dinge. Wenn eine Pianistin von einem Orchestermanagement in Paris ausgeladen wird, weil sie nicht bereit ist, das angesetzte Tschaikowsky-Klavierkonzert mit etwas «Unverfänglichem» zu ersetzen, finde ich das peinlich – das setzt ein verheerendes Zeichen.

Unbegleitete Solostimmen oder einstimmige reine Männer- oder Frauenchöre charakterisieren den gregorianischen Gesang.
Wie handhaben Sie das?

Unbegleitet und einstimmig war für mich immer schon klar. Lange gezögert habe ich bezüglich gemischter Scholen. P. Roman Bannwart aus Einsiedeln, eine der grossen Gregorianik-Kapazitäten der letzten Jahrzehnte, hat immer wieder mit gemischten Scholen gesungen: teils Frauen- und Männerstimmen allein oder eben gemeinsam in Oktaven. Genauso halten wir es bei unserem Cantars-Konzert.

Welche Rolle hat der gregorianische Gesang in der katholischen Liturgie?

Eigentlich eine mit der orthodoxen Musik vergleichbare Funktion: Er erdet Ausführende und Zuhörende. Stellen Sie sich einen Mönchskonvent vor. Wenn sich die Klosterbrüder fünf bis sieben Mal pro Tag zum gemeinsamen Gottesdienst zusammenfinden und diesen mit einstimmigem Gesang beginnen, ist sofort eine Fokussierung aufs Wesentliche da. Ähnliches geschieht mit den Zuhörenden. Mir geht es jedes Mal so, wenn ich in eine Klosterkirche hineinhöre: Diese Klänge lassen mich sehr schnell innerlich Ruhe finden.


Orthodoxe Kirchengesänge berühren oft. Was ist das Geheimnis dieser Klänge?

Ich erlaube mir, aus einem Brief von Tschaikowsky zu zitieren. Besser lässt sich dieses Geheimnis wohl nicht in Worte fassen: «Sonnabends in eine alte Kirche zu gehen, im halbdunklen Raum von Weihrauchwolken umfangen zu stehen und Antworten auf die ewigen Fragen ‹Warum – Wohin – Weshalb› zu suchen … plötzlich aufzuwachen, wenn der Chor zu singen beginnt und die goldene Pforte sich öffnet … o, wie liebe ich das alles!»

Unterscheidet sich die Musik der russisch-, ukrainisch- und griechisch-orthodoxen Liturgie?

Mit den Unterschieden bin ich zu wenig vertraut. Etwas Wesentliches aber haben alle orthodoxen Liturgien gemeinsam: Sie werden auf Kirchenslawisch gesungen. Diese Sprache verhält sich zu Russisch wie Latein zu Italienisch.

Was macht die Bedeutung des Gesangs in der orthodoxen Liturgie aus?

In der orthodoxen Liturgie läuft ohne Gesang gar nichts. Während den oft stundenlangen Gottesdiensten wird ausschliesslich gesungen, auch die Lesungen. Es gibt keine Priester, die nicht singen können, und manche Chöre haben eine unglaubliche Kondition: Eine fünfstündige Festliturgie durchzusingen und durchzustehen ist reiner Spitzensport. Der Gesang in der orthodoxen Liturgie ist Gottesdienst, nie nur musikalische Ausschmückung.
 

Nach 2011 und 2015 geht das dritte Kirchenklangfest cantars erstmals über die Landesgrenzen hinaus. Der Name ist Programm: Er verbindet die lateinischen Worte cantare (singen) mit ars (Kunst).

In der Dreifaltigkeitskirche Bern werden am Samstag, 7. Mai, zwischen 15.00 und 23.30 zehn Chorkonzerte aufgeführt. Um 20.30 wird die «Faszination des orthodoxen Gesangs» unter Christoph Cajöri zu hören sein. Tickets gibt’s an der Tageskasse (Einzeleintritt: Fr. 15.-, Tagespass: Fr. 50.-, bis 18 Jahre: Eintritt frei).

Programm und weitere Infos: Cantars Bern und Cantars 2021/2022.

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