Kurt Schweiss und Remo Berlinger vor der Kirche St. Marien Thun. Foto: Pia Neuenschwander

Projekt «M & M»: Thuner Pfarreien wachsen zusammen

Zur Pensionierung des Thuner Pfarrers Kurt Schweiss

Die beiden Pfarreien St. Martin und St. Marien arbeiten immer enger zusammen. Der Thuner Pfarrer Kurt Schweiss geht in Pension und beurteilt die Situation im Gespräch mit Kirchgemeindepräsidenten Remo Berlinger.

Interview: Andreas Krummenacher | Fotos: Pia Neuenschwander

«pfarrblatt»: Corona und kein Ende. Was bleibt Ihnen in Erinnerung?

Kurt Schweiss (KS): Ich erinnere mich an die sehr speziellen Ostern vor einem Jahr. Wir haben letztes Jahr an Ostern eine Karte an die Angehörigen der Pfarreien geschickt, die gut aufgenommen wurde. Den Freiwilligen der Pfarrei St. Marien wurde anstelle eines Freiwilligenabends ein kleines Geschenk nach Hause gebracht. Da war wichtig, dass jemand vorbeikam, dass jemand geläutet hat. Corona verhindert die Kontaktaufnahme, gleichzeitig fehlt dieser Kontakt vielen Menschen. Die Kirche wurde plötzlich vom Ort der Fürbitte zum Ansteckungsort; sie war nicht länger Zufluchtsort in Krisenzeiten.

In Thun sind wir vor Ort präsent, wir legen auch Gebete oder Texte in der Kirche aus, schalten sie auf der Webseite auf. In Erinnerung bleiben aber sicher die weissen Seiten in unserem «pfarrblatt» zu Beginn des Lockdown vor einem Jahr. Über die völlig leeren Seiten schrieben wir «alles abgesagt». Das hat negative Reaktionen gegeben. Die leere Agenda haben wir dann verschiedentlich wieder als Thema aufgegriffen. Es geht vertieft um die Frage, welche Rolle die Kirche in einer solchen Krise spielen kann – gerade für Menschen, die uns sonst nicht suchen.

Remo Berlinger (RB): Unsere beiden neuen Pfarreiseelsorgenden haben ihre Arbeit mitten in der Corona-Krise aufgenommen. Unter diesen Umständen war es schwierig, sich rasch mit den Verhältnissen in den Pfarreien vertraut zu machen. Das Team hat gute Initiativen entwickelt und hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.

Was hat sich in Thun in den letzten Jahren positiv verändert?

RB: Als hervorragender Theologe hat Kurt Schweiss anhand der Bibelauslegung auch unbequeme Fragen zur kritischen Besinnung und Forderungen an das konkrete Handeln im christlichen Menschsein gestellt. Man müsse Gott in der Welt vergegenwärtigen. Durch seine ruhige und gefestigte Art hat er in seinen Führungsbereichen Sicherheit und Klarheit vermittelt.

Kurt Schweiss vereinigte eigenständiges Denken mit Loyalität zu den Institutionen seines Wirkens. In den letzten Jahren sind unter seiner zielgerichteten Führung die beiden Pfarreiteams von St. Marien und St. Martin in der Zusammenarbeit wesentlich zusammengerückt. Ob die Menschen der verschiedenen Pfarreien auch zusammengekommen sind, kann ich noch nicht beurteilen.

KS: Die Team-Zusammenarbeit ist sicher ein Meilenstein. Das war ein längerer Prozess, mit Erfolgen und Misserfolgen. Richtung und Gewicht gewann die Zusammenarbeit, als wir uns intensiver mit der Katechese zu beschäftigen begannen. Diese haben wir komplett neu ausgerichtet und konsequent als einheitliches Team neu aufgestellt.

In der Folge entstand unser Projekt ‹M & M›. Wir haben die Teams von St. Martin und St. Marien zusammengenommen und versucht, teambildend zu wirken. Die Diskussionen und Weiterbildungen drehen sich dabei um das Thema Kirchenentwicklung. Nach aussen haben wir sicher viele Menschen verunsichert. Nach innen war es manchmal eine mühsame und manchmal eine fast euphorische Arbeit.

Kurt Schweiss (65) stammt aus dem Thurgau. Nach seinem Theologiestudium trat er in den Franziskanerorden ein, lebte lange in Rom und dann zwölf Jahre in den USA. 2005 kehrte er als Weltpriester in die Schweiz zurück. Seit 2014 war er Pfarrer in Thun, später auch Pastoralraumpfarrer im Pastoralraum Bern Oberland. Im Juli geht Kurt Schweiss in Pension. Die Abschiedsfeier findet am 27. Juni statt.

 

 

 

 

Gibt es konkrete Ergebnisse?

KS: Unsere zwei Pfarreiseelsorgenden arbeiten unterdessen an beiden Orten, es gibt keine Aufteilung mehr. Es gibt nun beispielsweise an beiden Gottesdienst-Orten etwas mehr liturgische Vielfalt. Auch für mich bleibt offen, ob die Menschen näher zusammengekommen sind.

Von den unterschiedlichen Kulturen in St. Marien und St. Martin hört man immer wieder. Gab es da Misstöne?

RB: Unsicherheit, Unwohlsein und Auseinandersetzungen gehören naturgemäss zu solch einschneidenden Veränderungen. Wohl aus Einsicht in die Notwendigkeit des neuen Zusammengehens und dem Willen, dies gemeinsam zu schaffen, gab es darüber nie ernsthafte Diskussion im Kirchgemeinderat oder in der Kirchgemeindeversammlung.

KS: Als ich nach Thun kam, traf ich, wie überall, auf eine Geschichte, auf Selbstverständnisse, unterschiedliche Ansichten, auf Bilder und Zuschreibungen. Im Bereich der Kirchenbilder haben wir versucht, etwas aufzubrechen, zumindest bei den Pfarreimitarbeitenden. Auch in den Weiterbildungen im Pastoralraum haben wir uns zu diesem Thema immer wieder Gedanken gemacht: Wie stellen wir Kirche dar bzw. vor, und wie leben wir Kirche? Ich hänge auch Kirchenbildern nach, die wohl nicht sehr zukunftsträchtig sind.

Welchen?

KS: Wir bieten unsere Angebote in einem relativ engen Bereich an. Das sind Eucharistiefeiern oder Wortgottesfeiern. Diese Angebote werden genutzt und nachgefragt. Viele Menschen kommen zu uns. Über diesen Kreis hinaus aber sind wir wenig ansprechend. Es ist keine Kirche als Raum, wo alle zusammenkommen können. Wir haben noch keinen offenen Rahmen für alle geschaffen, der wirklich einladend ist.

Welches sind die grössten Baustellen in der katholischen Kirche Thun?

RB: Pfarrer Kurt Schweiss’ Pensionierung diesen Sommer ist gegenwärtig unsere grösste Baustelle. Zurzeit ist noch alles offen …

KS: Die Katechese bleibt eine grosse Herausforderung. Wir müssen schauen, wie sich dieser neu eingeschlagene Weg weiterentwickelt. Baustellen für die Pfarrei gibt es einige. Nur schon sprachlich. Wir sagen immer noch ‹bei denen oben› oder ‹bei denen unten›. Wir haben noch kein Bewusstsein dafür entwickelt, dass wir eine katholische Kirche Thun sind mit zwei Gottesdienst-Orten. Die anderen Baustellen teilen wir mit ganz vielen Pfarreien: Welche Form von Kirche wird uns in die Zukunft hineintragen?

RB: Auch die Jugendarbeit ist ein Punkt. Wir hatten früher einen Jugendarbeiter, einen Jugendtreff. Hier hoffe ich sehr, dass wir Schritte machen können.

KS: Kürzlich habe ich mit einer älteren Person geredet. Sie sagte mir, unser Ansatz sei falsch. Die Alten kämen ohnehin, wir müssten uns viel mehr um die Jungen kümmern. Das Bistum will die Firmung 17+ forcieren. Das betrifft genau diesen Bereich und bedingt ein ganz anderes Arbeiten. Das ist keine freie Jugendarbeit, aber eine Form, die weiss, wie man mit jungen Erwachsenen umgehen kann.

Remo Berlinger (66) ist seit 2016 Präsident der Kirchgemeinde Thun. Er war 27 Jahre lang Vizestadtschreiber und Ratssekretär der Stadt Thun. Remo Berlinger ist verheiratet, hat drei Kinder und sieben Enkel.

 

 

 

 

 

Wie klappt die Zusammenarbeit im grossen Pastoralraum Oberland?

KS: Der Pastoralraum ist wertvoll für all jene, die hier arbeiten. Er bietet Gelegenheiten, sich auszutauschen, zu diskutieren, sich zu vernetzen. Bei den Menschen zeigt er sich sehr verhalten. Eine grössere Pastoralraumveranstaltung muss in Thun oder Interlaken stattfinden. Das aber bedingt, dass man auf die öffentlichen Verkehrsmittel achtet, wann geht der letzte Zug nach Gstaad beispielsweise. Dabei hat man noch gar nicht herausgefunden, was die Gemeinsamkeiten zwischen Meiringen und Simmental sind.

RB: Der Pastoralraum ist identisch mit dem Kirchgemeindeverband. Es gibt regionale Projekte, die auch der Verband unterstützt. Etwa in der Sozialarbeit. Das ist für die Region sehr wichtig.

KS: Ich träume immer noch von einer ‹Animatrice pastorale›, einem ‹Animateur pastoral›. Jemand, der im Pastoralraum für die Menschen religiös-kulturell animierend unterwegs ist, vor allem für die portugiesische Gemeinde. Es wäre sehr fördernd, eine Person zu haben, die sie unterstützt, sich selbst zu organisieren und zu finden.

Was legen Sie ihrem Nachfolger ans Herz?

KS: Das macht man eigentlich nicht. Ich würde vielleicht anregen, den Prozess der Kirchenentwicklung nicht aufzugeben. Ich sage den Mitarbeitenden immer: So, wie wir Kirche leben, ist auch das Bild, das wir davon nach aussen hin vermitteln. Wie wir miteinander umgehen – da waren wir nicht in allen Punkten ideal. Man sollte die kleine Kirche der Mitarbeitenden gut pflegen, damit wir im Minimum der grossen Kirche nicht im Weg stehen.

Was wünschen Sie vom Nachfolger?

RB: Oh, wahrscheinlich zu viel. Jemand, der Menschen zuhören und sie ansprechen kann. Ich wünsche mir, dass auch die Nachfolge von Pfarrer Kurt Schweiss die Vergegenwärtigung Christi in der Welt sucht. Jemand, der loyal zu den kirchlichen Institutionen ist und geschickt und respektvoll in den bestehenden Spannungsfeldern arbeiten wird: zwischen den Kräften von Bewahren und Verändern, zwischen den Pfarreien St. Marien und St. Martin … Ich wünsche mir weiterhin positive Impulse für das Christsein und für ein lebendiges Pfarreileben. Ich wünsche mir sichtbare Schritte in der bereits angestossenen Jugend- und Familienpastoral.

Und welches sind Ihre Zukunftspläne, Herr Schweiss?

KS: Es geht zurück in die USA, nach Südkalifornien. Da habe ich lange gelebt, dort habe ich ein Umfeld. Meine Zukunft ist noch offen. Es gibt zuerst sicher eine Pause.

 

Die katholische Kirche Thun umfasst die beiden Pfarreien St. Martin und St. Marien. Sie besteht aus einer Kirchgemeinde mit 13 000 Mitgliedern und 41 Einwohnergemeinden.

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