Reformierte Berner Kirche wird zur Klangkathedrale

Von St. Urban in die Berner Nydeggkirche

Am 12. September ist in der Berner Nydeggkirche Musik zu hören, die um 1600 in der Klosterkirche St. Urban erklungen ist – von Palestrinas doppelchörigem «Magnificat» über die «Sacri Concerti» von Claudia Rusca bis hin zu Toccaten von Frescobaldi. Bettina Seeliger und Ewald Lucas aus dem Vokalensemble «HalbAcht» beleuchten die Entstehung dieser klanglichen Zeitreise.

Interview: Anouk Hiedl 

«pfarrblatt»: Die Stücke Ihres Konzerts «Exultate Deo» stammen alle aus dem Musikalieninventar der Klosterbibliothek St. Urban. Wie ist das Programm entstanden?

Ewald Lucas: Seit Ende des 12. Jh. verfügte das Kloster St. Urban über eine ausgeprägte Musiktradition. Leider ist der grösste Teil des reichhaltigen Bibliotheksbestands verschollen. Übrig geblieben ist ein Musikalieninventar aus dem Jahr 1661, das die bedeutsame Musikpflege der Zeit belegt. Die verzeichneten Musikdrucke fanden fast alle schon zu ihrer Entstehungszeit eine gewisse Verbreitung und liegen teilweise auch in modernen Editionen vor. Auf diese Grundlagen konnten wir uns abstützen.

Bettina Seeliger: Die Auswahl der Vokalwerke ist durch liturgische Elemente der Vesper inspiriert. «Magnificat» oder «Dixit Dominus» haben darin ihren festen Platz. Auch «Exultate Deo» sowie «Pater noster» könnten an festlichen sonntäglichen Vespergottesdiensten im Kloster St. Urban erklungen sein.

Warum findet das Konzert nicht dort statt?

Ewald Lucas: Ursprünglich wollten wir dieses Programm zum 300. Jubiläum der historischen Bossard-Orgel in St. Urban aufführen. Coronabedingt war dies im Juni nicht möglich. So suchten wir eine andere Möglichkeit, diese Musik zum Erklingen zu bringen. Dazu war ein Ort mit passender Orgel entscheidend.

Bettina Seeliger: Die Chororgel der Nydeggkirche ist ein Nachbau einer italienischen frühbarocken Orgel und eignet sich mit ihren Registerfarben, um den Klang und die Wirkung dieser Musik optimal wiederzugeben. Sie ist eine der ganz wenigen mitteltönig gestimmten Orgeln in der Schweiz.

Was macht diese Orgelstimmung aus?

Bettina Seeliger: Bei einer mitteltönig gestimmten Orgel sind die Terzen der damals gebräuchlichsten Tonarten rein. Dadurch entsteht ein charakteristischer Gegensatz zwischen stark reibenden Dissonanzen und entspannten Durakkorden. Der Wohlklang dieser Tonarten hat allerdings einen Preis: Diese Stimmung eignet sich nicht für Musik mit mehr als drei Vorzeichen. Um den Bereich der spielbaren Tonarten zu erweitern, finden sich auf der Klaviatur geteilte Tasten für die Töne es/dis und gis/as, sogenannte Subsemitonien. Die klare Charakteristik dieser Stimmung führt dazu, dass die Musik des 16. und 17. Jahrhunderts umso schöner und farbiger erklingt. Die Orgelwerke unseres Konzerts stammen unter anderem von Girolamo Frescobaldi, einem der bedeutendsten Komponisten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Welches sind Ihre Lieblingsstücke?

Ewald Lucas: Mich beeindruckt der satte Klang des «Adoramus te» von Claudia Rusca, einer Benediktinerin aus einem Mailänder Kloster. Obwohl nur fünfstimmig, entsteht der Eindruck einer Doppelchörigkeit. Spannend ist zudem, dass wir es hier mit einer Komponistin zu tun haben, deren musikalisches Können damals so grosse Beachtung fand, dass sie mit Hilfe ihrer Brüder einen Band mit ihren «Sacri Concerti» drucken lassen konnte.

Bettina Seeliger: Im «Pater noster» von Jacobus Gallus rufen sich je vier Frauen- und Männerstimmen die Bitten des «Vater unser» zu, bis sie sich achtstimmig im «Amen» vereinen. Diese «Klangkathedrale» berührt mich zutiefst.

«Exultate Deo»: Musik um 1600 aus dem Kloster St. Urban
Sonntag, 12. September 2021, 17.00, Nydeggkirche Bern. Mit dem Vokalensemble «HalbAcht» und David Erzberger (Orgel). Eintritt frei, Kollekte.
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