Religion ist Identitäts- und Kraftquelle zugleich

Interreligiöses Frauenparlament in Bern

Was bewegt Frauen in unserem Land, die ihre religiöse und kulturelle Identität in einem säkularen Umfeld verankern möchten? Dieser Frage ging das interreligiöse Frauenparlament am 29. August in Bern nach.

Von Sabrina Durante

Im Hindu-Tempel wird gerade das jährliche Tempelfest gefeiert, vor dem Haus der Religionen in Bern stehen geschmückte Wagen mit indischen Gottheiten bereit, Frauen in farbigen Saris gehen ein und aus. Im Vortragssaal hat sich eine andere bunte Gruppe versammelt: rund 50 Frauen aus allen Altersklassen und aus verschiedenen Religionsgemeinschaften haben sich zum 4. Interreligiösen Frauenparlament eingefunden.

Zwischen Tempeltanz und Party

Die erste Rednerin ist Laavanja Sinnadurai, eine junge «Seconda» aus Sri Lanka, die mit erfrischender Offenheit über das Aufwachsen in der hinduistischen Diaspora erzählt. Ihre Erfahrungen werden sehr vielen Secondas bekannt vorkommen, unabhängig von ihrer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit: eine Mutter, die dafür besorgt ist, dass die Kinder Sprache und Rituale der «alten» Heimat kennen und befolgen.

Eine Familie, welche die Mädchen mehr kontrolliert als die Buben. Die Erfahrung, dass man dafür in der Schule «Gas geben» und sich einsetzen kann, und dass dies der Emanzipation förderlich ist. «Ich kann nicht gegen das System kämpfen, also muss ich mich selbst ändern», realisierte sie im Laufe der Zeit. Nach einem Master in Rechtswissenschaften engagiert sie sich als Mediatorin und Kulturelle Vermittlerin in Bern und hilft so anderen Menschen, mit ihrem persönlichen kulturellen Spagat zurechtzukommen. Der hinduistischen Gemeinschaft ist sie treu geblieben und setzt sich dort für mehr Gleichberechtigung ein.

Religion und Kultur bewahren im Exil

Ganz andere Erfahrungen hat T. Dolma Sumukkha aus Tibet gemacht: sie lebt seit 20 Jahren in der Schweiz und hat miterlebt, wie sich das Rollenbild der Frauen in der tibetischen Gesellschaft – befeuert durch die chinesische Besetzung und die Flucht ins Exil, und auch dank dem Einfluss des Dalai Lama – grundlegend verändert hat. «Die Frau ist die erste Lehrerin von Mitgefühl», sagt das spirituelle Oberhaupt der Tibeter, und so sieht auch Dolma ihre Rolle als Glaubensvermittlerin für ihre Familie, die nur sehr selten den Weg in das einzige tibetische Kloster der Schweiz auf sich nehmen kann.

Diskurse vielstimmiger machen

Zeinab Ahmadi, Leiterin Bildung im Haus der Religionen, reflektierte über die Art, wie in einer postkolonialen Gesellschaft ihre Identität als Muslima gelesen wird: als Opfer, als Unterdrückte? Ein Bild, das mit der aktuellen Berichterstattung aus Afghanistan in den Medien noch mehr zementiert wird. Ihre Aufgabe sieht sie darin, diese Diskurse wieder vielstimmiger zu machen, Menschen, die etwas zu sagen haben, Platz zu geben. Wie? Indem sie einerseits Räume und Netzwerke für junge Musliminnen aufbauen hilft, andererseits auch transreligiöse Räume der Begegnung für Frauen, in denen offene Gespräche möglich sind, um sich so ein eigenes Bild voneinander zu machen.

Das Licht der Welt

Mit ihren 63 Jahren hat Suzanne Schild unter den Referentinnen wohl die grösste Lebenserfahrung. Die 7-fache Mutter und mehrfache Grossmutter ist Pflegeassistentin, Kulturmanagerin und Theologin, verbrachte ihre Jugend in Kamerun und mehr als die Hälfte ihres Lebens in der Schweiz. Ihre verschiedenen Identitäten sieht sie als «Halsketten», die sie eine über der anderen anzieht: An die einen muss man sich zuerst gewöhnen, und manchmal werden sie zu schwer. Trotzdem gehören alle zu ihr und machen sie zu dem Menschen, der sie ist. «Wir Frauen unterschätzen unsere Wirkkraft», findet sie. «Wir sind das Licht der Welt, und unsere Verantwortung ist es, zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Nicht Opfer, sondern Vorbilder wollen wir sein».

Begegnung ermöglichen, Solidarität schaffen

Vier Frauen, vier Religionen, zwei Generationen: die Rednerinnen am interreligiösen Frauenparlament zeigen exemplarisch die religiöse und kulturelle Vielfalt in unserem Land, die Vorurteile und Schwierigkeiten, mit denen sie im Alltag konfrontiert sind. Schnelle Lösungen kann und will der Anlass nicht anbieten, wohl aber einen Prozess ins Rollen bringen. «Wir haben Frauen zusammengebracht, die sich sonst in ihrem Alltag nicht begegnen würden», findet die Mitorganisatorin Angela Büchel Sladkovic. Frauen, die in ihrem Leben in verschiedenen Identitäten unterwegs sind und hier Verständnis und Solidarität erfahren haben – und nicht zuletzt das Gefühl, einen Beitrag für eine tolerantere Gesellschaft zu leisten.

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