In Bern soll ein innovativer Ort der Erinnerung, Vermittlung und Vernetzung für die Opfer des Nationalsozialismus entstehen – eine neue und bisher einzigartige Kombination in der Schweiz. Rund 150 namhafte Erstunterzeichnende und 30 Organisationen unterstützen das Anliegen. Heute wurde dem Bundesrat ein Konzept eingereicht, das die Schaffung eines solchen Memorials verlangt.
Von Anouk Hiedl
Die Gedenkstätte soll insbesondere die nächsten Generationen zum kritischen Nachdenken über Vorurteile und Ausgrenzung befähigen. Mitinitiant Remo Gysin, Präsident der Auslandschweizer Organisation (ASO), eröffnete die Medienkonferenz in Bern mit dem Hinweis auf einen Beitrag im Beobachter, der 2017 eindrücklich an die rund 1000 Schweizer Opfer des Nationalsozialismus erinnerte.
Mindestens 723 Schweizer*innen überlebten «Hunger, Zwangsarbeit und Misshandlungen» in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, während mindestens 206 dort «erschossen, erschlagen oder vergast» worden seien. Der Artikel, in dem erstmals ein würdiges offizielles Denkmal für diese Schweizer Opfer verlangt wird, habe den Anstoss für eine Schweizer Gedenkstätte gegeben – im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es dies hier bis heute nicht.
Kirchen unterstützen ein Memorial
Zusammen mit der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz, dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) sowie verschiedenen universitären Institutionen nahm die ASO diesen Appell auf. Ein Konzept für die Schaffung eines offiziellen Schweizer Memorials wurde erarbeitet. Dieses wurde vielen Institutionen vorgelegt, und man fand grosse Unterstützung, unter anderem von der Schweizer Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche Schweiz, der Christkatholischen Kirche, der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz und dem Berner Haus der Religionen - Dialog der Kulturen.
Vermittlung und Prävention
Ralph Lewin, Präsident des SIG, erinnerte an der Medienkonferenz daran, dass der 8. Mai seit 1945 Synonym für Befreiung und Hoffnung sei und zitierte die wiederholte Warnung von Überlebenden der Shoah: «Passt auf, seid wachsam». Während die Zeitzeug*innen immer weniger würden, nehme die Zahl der jungen Menschen zu, die wenig mit den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs vertraut seien.
Zudem werde in den Medien zunehmend über Rassismus und Antisemitismus berichtet. Es sei wichtig, sich dagegenzustellen, die Erinnerung wach zu behalten und zu vermitteln, wie es zu Nationalsozialismus und Shoah kommen konnte – von Gedanken über Worte zu Taten.
Das Schweizer Memorial solle an alle Opfer erinnern, die aufgrund ihrer Religion, politischen Gesinnung oder sexuellen Ausrichtung diskriminiert, verfolgt, deportiert, misshandelt oder ermordet wurden. «Wer die Vergangenheit kennt, kann sich den Herausforderungen der Gegenwart besser stellen», so Lewin.
Ort der Erinnerung
Erinnerung sei auch Aufklärung, um die Gefahr von Diskriminierung wie Rassismus oder Antisemitismus aufzuzeigen. Dabei gelte es, nicht nur in die Vergangenheit zu blicken, sondern auch in die Zukunft. Die Historikerin Fabienne Meyer und Gregor Spuhler vom Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich präsentierten das vorgesehene Memorial als «lebendigen, formbaren Ort des Diskurses und der Reflexion», der unter den Leitthemen «erinnern – vermitteln – vernetzen» stehe.
Als Gedenkort solle er zentral, repräsentativ und öffentlich zugänglich in Bern stehen. Die Bevölkerung werde dabei in einen Meinungsbildungsprozess eingebunden, auch im Entscheid zur Form dieses Memorials, der das Resultat eines öffentlichen Kunst- und Architekturwettbewerbs sein wird.
Der Bundesrat wird in Kürze über die Umsetzung des eingereichten Konzepts entscheiden.
Weitere Informationen: www.swissmemorial.ch
Medienbeiträge
SRF, Tagesschau, 25.5.2021: Organisationen reichen Konzept für eine Holocaust-Gedenkstätte ein und Holocaust-Überlebende Vera Rottenberg
SRF, News, 25.5.2021: Forderung nach Schweizer Holocaust-Mahnmal wird immer lauter
SRF, Echo der Zeit, 25.5.2021: Gedenkort für Schweizer Holocaust-Opfer
SRF, Rendez-vous, 25.5.2021: Gedenkstätte für Schweizer KZ-Opfer
«pfarrblatt», 8.4.2021: Eine Holocaust-Gedenkstätte für die Schweiz?