Geneva Moser über ein politisches Sündenverständnis. Foto: zVg

Strukturelle Sünde

Im Beichtstuhl: Geneva Moser

Geneva Moser, Fachmitarbeiterin in der Berner Hochschulseelsorge und Co-Redaktionsleiterin «Neue Wege, beantwortet Fragen rund um Schuld und Vergebung.

Interview: Sylvia Stam

Wie würden Sie «Sünde» definieren?

Wir verstehen Sünde oft individuell als etwas, was in persönlichen Beziehungen passiert. Mir ist ein politisches Verständnis von Sünde näher, das von Dorothee Sölle geprägt ist: Ich lebe in einer Welt mit Machtstrukturen, Abhängigkeiten und einem ungerechten Wirtschaftssystem. Ich kollaboriere zwangsläufig mit den Zwängen, die dieses System mit sich bringt, etwa wenn ich eine Wohnung miete auf einem sehr unfair gestalteten Wohnungsmarkt. Das ist eine Art Erbsünde.

Darin steckt ein grosses Gefühl von Ohnmacht.

Ja, aber ebenso von Freiheit. Laut Sölle bedeutet Christin-Sein das Recht, eine andere zu werden. Ebenso hat die Welt das Recht dazu. In einer täglichen Umkehr kann ich mich im Kleinen aus diesem Ungerechtigkeitsverhältnis hinausbewegen. Sölle nennt das «tätige Reue». In christlichen Texten wird mir zugesprochen, dass uns diese Umkehr geschenkt ist. Das ist letztlich der Erlösungsgedanke.

Was ist demnach Ihre grösste Sünde?

Jene Momente, in denen ich der Welt, mir selber, meinen Mitmenschen keine Veränderung mehr zutraue. Ich versuche stattdessen, die Hoffnung auf Veränderung nicht aufzugeben.


Die Serie «Im Beichtstuhl» im Überblick

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