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Tradition gibt es nicht

... und doch hat sie durchaus ihre Berechtigung

Dass etwas von früher eins zu eins bis jetzt überdauert, das ist nicht möglich.
Selbst, wenn etwas ganz gleich gemacht wird wie früher, ist es in einem anderen Umfeld nicht mehr das Gleiche.
Eine unversehrte, unveränderte Weitergabe gibt es nicht.

Tradition ist immer eine Auswahl, ein Entscheid, etwas Hergestelltes.
Etwas aus der Vergangenheit wird ausgewählt (und gleichzeitig manches ausgeblendet) und für die Gegenwart als Tradition postuliert.
Oft etwas, das den eigenen Interessen, dem eigenen Nutzen dient.

Mehr noch: Tradition ist nicht nur eine Auswahl, hinter der Interessen stehen. Die Rede von der Tradition kann eine Form sein, Macht zu missbrauchen.
Was als Tradition bezeichnet wird, das soll nicht angetastet und verändert werden.
Oder gravierender noch, darüber darf gar nicht erst diskutiert werden.

Kommt dazu, dass Tradition immer eine heutige Vorstellung und Idee ist, welche in die Vergangenheit übertragen wird und dort als real behauptet wird.
Obwohl es unschwer zu erkennen ist: So wie es aus heutiger Optik dargestellt wird, war es früher nicht.

Tradition gibt es nicht. Eine ungebrochene Weitergabe durch die Zeit ist nicht möglich.
Tradition ist nicht diese Weitergabe, sondern die Behauptung und der Anspruch, dass es eine solche Kontinuität gebe.

Von Tradition zu sprechen, ist aber nicht nur problematisch: Wenn Tradition nicht gebraucht wird, um Macht zu missbrauchen, wenn Tradition nicht missbraucht wird, um eigene Interessen zu verschleiern, hat sie durchaus ihre Berechtigung.
Dass Menschen sich auf Dinge verständigen, die sie verbinden, die sie als zusammengehörig untereinander und mit den Generationen vor ihnen erfahren lassen, kann bereichernd, verbindend, hilfreich und entlastend sein.

Felix Klingenbeck

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