Opfer waren zu 74% Minderjährige. Das Dunkelfeld sei gross. Symbolbild: Manuela Matt

Über 1000 Fälle sexuellen Missbrauchs identifiziert

Die Resultate der Pilotstudie sind veröffentlicht

Am 12. September wurde die Pilotstudie sexueller Missbrauch im kirchlichen Umfeld präsentiert. 1002 Fälle wurden seit 1950 identifiziert. Die kirchlichen Verantwortlichen haben Massnahmen beschlossen.

von Veronika Jehle und Sylvia Stam

Ein Forschungsteam der Universität Zürich hat während eines Jahres Archive von Bistümern und Ordensgemeinschaften erforscht sowie Gespräche mit Zeitzeig:innen und Betroffenen geführt. Dies im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der römisch-katholischen Zentralkonferenz (RKZ) und des Dachverbands der Ordensgemeinschaften (Kovos). Am 12. September wurden die Resultate präsentiert.

1’002 Fälle sexuellen Missbrauchs wurden identifiziert, mit 510 Beschuldigten und 921 Betroffenen. 149 Beschuldigte konnten zwei oder mehr Betroffenen zugeordnet werden, bei 361 Beschuldigten ist sexueller Missbrauch an einer Person nachweisbar. 39 Prozent der Fälle betreffen Frauen, knapp 56 Prozent Männer. Die Beschuldigten waren bis auf wenige Ausnahmen Männer, der Anteil Kleriker darunter wurde nicht eigens untersucht.

Säuglinge bis Erwachsene

Von den ausgewerteten Akten zeugten 74 Prozent von Missbrauch an Minderjährigen (von Säuglingen bis zu jungen Erwachsenen), 14 Prozent betrafen Erwachsene. Das Spektrum der Übergriffe reicht von problematischen Grenzüberschreitungen bis hin zu schwersten, systematischen Missbräuchen. Die Forschenden gehen davon aus, dass die identifizierten Fälle nur «die Spitze des Eisbergs» darstellen.

Die 135-seitige Studie kommt zum Schluss, dass überführte Täter durch die Kirche meist milde oder gar nicht bestraft wurden. Die meisten Fälle wurden nicht aufgeklärt, sondern verschwiegen, vertuscht oder bagatellisiert. Beschuldigte und überführte Kleriker wurden systematisch versetzt. Dabei wurden die Interessen der katholischen Kirche oft über den Schutz von Betroffenen und Gemeindemitgliedern gestellt.

Die Studie enthält 13 Fallbeispiele. Darin werden zwei noch amtierenden Bischöfen Verfehlungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vorgeworfen: Markus Büchel, Bischof von St. Gallen, und Kardinal Kurt Koch, vormals Bischof von Basel. Büchel hat inzwischen Untersuchungen eingeleitet. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.

Die Rolle der staatskirchenrechtlichen Struktur (Kirchgemeinden und Landeskirchen) zu klären, wird Aufgabe der weiteren Forschung sein. Zukünftig erforscht werden sollte auch das Umfeld der Ordensgemeinschaften und Neuer Geistlicher Gemeinschaften, die anderssprachigen Missionen, aber auch Verbände wie Jungwacht-Blauring, katholische Pfadis, Ministrant:innenpastoral oder Frauenbund.

Aufruf an Betroffene

Die SBK, RKZ und Kovos finanzieren eine Folgestudie für 2024 bis 2026. Dafür sucht das Team der Uni Zürich weitere Betroffene und Zeitzeug:innen. Diese können sich melden unter: forschung-missbrauch@hist.uzh.ch

 

Neue Massnahmen seitens SBK, RKZ und Kovos

– Einführung professioneller, unabhängige Meldestellen für Betroffene schweizweit.
– Standardisierte psychologische Tests für künftige Priester, Diakone, Ordensmitglieder und Seelsorgende im Rahmen der Ausbildung.
– Einführung von Standards zur Führung von Personaldossiers und für die Weitergabe von relevanten Informationen über kirchliche Mitarbeitende.
– Selbstverpflichtung der Leitungsverantwortlichen von SBK, RKZ und Kovos, künftig keine Akten mehr zu vernichten, die im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen stehen.

 

Übergriff – was tun?

Anlaufstellen für Betroffene:
– IG Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld: missbrauch-kirche.ch
– Kirchliche Anlaufstellen: missbrauch-kath-info.ch
– Opferhilfe Bern: opferhilfe-bern.ch

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