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Über die Vertrauenskrise

Jonas Hirschi macht sich in der Carte Blanche zum Neuen Jahr Gedanken zu einem der aktuell meistverwendeten Worte westlicher Demokratien.

Kaum ein Wort wird so oft verwendet, um die momentanen politischen Umwälzungen in den westlichen Demokratien zu beschreiben, wie jenes der Vertrauenskrise. Es fehle an Vertrauen in das politische System. Doch geht das Problem nicht viel weiter? Und wie steht es eigentlich mit dem Vertrauen zu Gott? Ein paar vertrauliche Gedanken.

Von Jonas Hirschi*


So wie es einen Neuanfang
nur nach einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geben kann, so gelingt der Start ins neue Jahr nur mit einem Rückblick auf das letzte. Und das Jahr 2017 wird in Erinnerung bleiben als jenes Jahr, in dem ein Showbusiness-Man das höchste Amt in den USA übernahm – nur weil er im Jahr zuvor gegen den politischen Sumpf gewettert.

Es war aber auch das Jahr, in dem die staatstragenden Parteien in Frankreich abgestraft wurden und die Stichwahl um das Präsidentschaftsamt von einer neuen und einer rechtspopulistischen Partei bestritten wurde.
Und es war auch das Jahr, in dem in Deutschland zum ersten Mal seit der Nazi-Zeit eine rechtsradikale Partei in den Bundestag gewählt wurde. Diese Vorgänge können Ängste auslösen, doch bilden sie auch ein ehrliches Abbild des Zustands unserer Demokratien.

Vertrauen in das politische System?

Was liegt diesen politischen Umwälzungen zugrunde? Die Ursachen sind vielfältig und in jedem Land anders. Überall spricht man jedoch auch von einer Vertrauenskrise der Demokratie. Doch was ist damit gemeint?
In den USA fühlten sich echte GlobalisierungsverliererInnen von der Politik in Washington nicht wahrgenommen. In Frankreich gab es diverse Skandale in den etablierten Parteien. In Deutschland haben sich nach vier Jahren Grosser Koalition die Unterschiede zwischen den grossen Volksparteien derart minimiert, dass buchstäblich eine Alternative gefehlt hatte.
Dies soll keine Entschuldigung sein für politische Entscheide, aber eine Erklärung.

In der Schweiz ist das Vertrauen in die politischen Institutionen gemäss Umfragen immer noch ausserordentlich hoch. Aber dass komplexe Vorlagen wie die Unternehmenssteuerreform oder die Revision der Altersvorsorge einen schweren Stand haben, weist ebenfalls zumindest auf einen Vertrauensknacks hin. Dennoch bedanken sich gewählte PolitikerInnen immer wieder dafür, dass die WählerInnen ihnen ihr Vertrauen geschenkt haben.

Hier gilt es, mit einem politischen Irrglauben aufzuräumen: Das Volk schenkt der Politik nicht sein Vertrauen. Das Volk leiht das Vertrauen nur. Und mit einer geliehenen Sache hat man verantwortungsvoll umzugehen. Vertrauen ist kein Zustand, sondern eine Tätigkeit. Das Vertrauen muss immer wieder erneuert und gestärkt werden.
Es ist somit auch unverständlich, wenn sich die Schweizer Politik nach wie vor gegen eine Offenlegung der Politikfinanzierung wehrt. Hier kann aber dank einer Volksinitiative das Volk bald selbst das Vertrauen in die Demokratie stärken.

Vertrauen zu Gott

Vertrauen ist auch ein Wesenszug des Christentums. In der Sprache der Bibel wird für «Glaube» auch das griechische Wort «Pistis» verwendet, das mit «Vertrauen» übersetzt werden kann. Und tatsächlich finden viele Gläubige darin Kraft, sich und ihre Sorgen Gott anzuvertrauen. Dieses blinde Vertrauen ist gerade in Situationen, in denen man keine eigene Handlungsmacht erkennt, verständlich und hilfreich.

Doch es gibt Situationen, in denen auch das Vertrauen zu Gott kein passiver Zustand bleiben darf. Der Glaube muss mit den eigenen Handlungen übereinstimmen.
Der evangelische Theologe Heinrich Bedford-Strohm wurde gefragt, was es für ihn bedeutet, christlich zu sein. Er antwortete, dass es für ihn bedeute, darauf zu vertrauen, dass Gewalt und Unrecht nicht das letzte Wort haben.
Das stimmt sicher, doch könnte man hier auch ergänzen, dass christlich zu sein auch bedeutet, aktiv dafür einzustehen, dass Gewalt und Unrecht nicht das letzte Wort haben.

Ähnlich äusserte sich Barack Obama nach einem Amoklauf im letzten Herbst in Oregon als er sagte: «Unsere Gedanken und Gebete alleine reichen nicht.» Es ist zwar wichtig für die Opfer von Gewaltverbrechen zu beten, doch darf man da nicht aufhören. Man ist nicht immer ohne Handlungsmacht.
Christlich zu sein bedeutet, für die Opfer zu beten und sich gleichzeitig dafür einzusetzen, dass solche Verbrechen verhindert werden - beispielsweise durch strengere Waffengesetze. Erst wenn wir dort, wo es uns möglich ist, unsere Gebete mit Handlungen unterlegen, dürfen wir Gott vertrauen, dass die Gebete Wirkung erzielen.

Sich trauen zu vertrauen

Ich möchte also mit meinen Gedanken zur Vertrauenskrise durchaus dazu aufrufen mehr zu vertrauen. Doch das Vertrauen darf kein passiver Zustand sein. Wer Vertrauen geliehen bekommt, muss beweisen, dass mit dem Vertrauen verantwortungsvoll umgegangen wird. Und wer auf Gott vertraut, soll dort, wo sie oder er eine Möglichkeit sieht, das Vertrauen mit Handlungen unterlegen.

Vertrauen ist somit nicht immer einfach. Dies zeigt schon das Wort: Im Vertrauen steckt auch immer drin, dass man sich traut.


* Jonas Hirschi (*1993) studiert Geschichte an der Universität Bern und arbeitet beim Dachverband «Schweizer Jugendparlamente» sowie als persönlicher Mitarbeiter einer Nationalrätin. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Theaters «Projekt 210», das 2014 den Jugendpreis der Burgergemeinde Bern erhielt.

 

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