«Die ganze Weltgeschichte wurde nur im Christentum als eine Geschichte der Versöhnung erzählt.» Prof. Katharina Heyden. Foto: Pia Neuenschwander

«Versöhnung gelingt nur, wenn es alle auch wollen»

Zur Konferenz «Versöhnt leben» an der Uni Bern

Für Katharina Heyden* ist Versöhnung eine Kunst, in der man sich üben kann. Sie wirkt an der Konferenz «Versöhnt leben» vom 11./12. Februar an der Universität Bern mit.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Was bedeutet Versöhnung für Sie?

Katharina Heyden: Obwohl ich das Wort selten benutze, ist Versöhnung für mich als Mutter von drei Kindern, in meinem Fall drei Söhnen – im Wort Versöhnung steckt ein «Sohn» – eine ganz natürliche, fast schon eingespielte Alltagskunst. Die ich leider nicht beherrsche. Denn Versöhnung ist nichts, was eine allein bewirken kann. Ich spüre, dass ich den anderen verletzt habe, drücke mein Bedauern darüber aus, bitte bangend um Verzeihung … und wenn er oder sie dann auf mich zukommt und wieder Kontakt aufnimmt, dann ist das für mich ein kleiner, alltäglicher Versöhnungsakt. Versöhnung bedeutet nicht, dass alles einfach wieder gut ist, sondern dass man wieder zusammenkommt und den Konflikt miteinander und nicht gegeneinander gestaltet. Das kommt im englischen Wort «reconciliation» (von lateinisch: re = wieder und conciliare = zusammenkommen) besser zum Ausdruck als in der deutschen «Versöhnung».

Was erschwert Versöhnung? Was erleichtert sie?

Versöhnung ist Beziehungsgeschehen. Deshalb wird sie auch schwieriger, je mehr Menschen, Verletzungen und Verluste involviert sind. Absolut notwendig sind die Bereitschaft und Fähigkeit, die Perspektive der jeweils anderen Seite einzunehmen und nachzuempfinden. Das erfordert Sprachfähigkeit und Empathie auf allen Seiten.

Kann man Versöhnung «lernen»?

Wie jede Kunst, kann man auch Versöhnung nicht einfach theoretisch lernen. Aber wir können uns darin üben. Und ein wenig theoretisches Wissen schadet dabei nicht. Zum Beispiel hilft die Einsicht, dass Konflikte auf unterschiedlichen Ebenen ausgetragen werden und dass die Konfliktlösung auf einer Ebene – etwa der praktischen – noch nicht bedeutet, dass die Beziehung auf einer anderen Ebene – zum Beispiel der emotionalen – wirklich wiederhergestellt ist. Andersherum bringen grosse Gefühle und Versöhnungsgesten nichts, wenn auf der praktischen Ebene weiterhin haarsträubende Ungerechtigkeit besteht.

Welche Rolle spielt Spiritualität für Versöhnung?

Interessanterweise kommt aus den Religionen ein starker Impuls zur Versöhnung. Spiritualität kann also ganz offensichtlich eine Triebkraft für Versöhnung sein. Vielleicht haben spirituelle Menschen ein besonderes Empathiebedürfnis und -vermögen.

Gibt es eine spezifisch christliche Perspektive aufs Thema?

Versöhnung spielt in allen Religionen eine wichtige Rolle. Aber nur im Christentum wurde die ganze Weltgeschichte als eine Geschichte der Versöhnung erzählt. «Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst» schreibt Paulus an die Korinther. Die Vorstellung vom Bruch der Menschen mit Gott nach der Schöpfung und von der Versöhnung dieses Verhältnisses durch einen Menschen, der Sohn Gottes genannt wird und als solcher die ganze Menschheit mit Gott versöhnt, ist speziell christlich.

Es gibt Sakramente und Rituale zur Versöhnung. Diese können erleichtern, aber auch einengen. Wo liegen die religiösen Stolpersteine?

Die Freiheit der Menschen und die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen darf nicht religiös überhöhten Sehnsüchten nach Versöhnung geopfert werden. Sonst besteht die Gefahr des Zynismus. Versöhnung gelingt nur dann, wenn sie dem inneren Bedürfnis aller Beteiligten entspricht. Aber Rituale und Sakramente können dabei helfen, eine Kultur, einen Lebensstil, eine innere Haltung auszubilden und zu pflegen, in der dieses Bedürfnis wachgehalten wird und angemessenen Ausdruck findet.

 

* Katharina Heyden ist Direktorin der Forschungskooperation «Religious Conflicts and Coping Strategies» und Professorin für Ältere Geschichte des Christentums und der interreligiösen Begegnungen an der Universität Bern. Sie wirkt an der kommenden Konferenz «Versöhnt leben» in Bern mit.

«Versöhnt leben»
Vom 11. bis 12. Februar 2022 findet an der Universität Bern eine Konferenz zum Thema Versöhnung statt. Vorträge, Workshops, Diskussionen und öffentliche Veranstaltungen beleuchten, was Versöhnungsprozesse fördert oder hindert.

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