Monika Thürlemann (r) hilft zum vierten Mal auf dem Hof von Dora Wilhelm (l). Foto: Pia Neuenschwander

«Verzetten, haagen, bretzeln»

Mit Caritas Schweiz im Bergeinsatz in Hasliberg

Mäusehaufen verzetten, Tannzapfen auflesen, den Geissenstall fegen oder kochen. Die Tätigkeiten von Monika Thürlemann auf dem Hof von Familie Wilhelm sind vielfältig. Die Heilpädagogin macht einen freiwilligen Bergeinsatz mit Caritas Schweiz.

Text: Sylvia Stam, Fotos: Pia Neuenschwander

«In welcher Ecke soll ich anfangen?›», fragt Monika Thürlemann (54) mit einem Schmunzeln. Sie steht mit einem grossen orangen Rechen in der Hand auf einer Wiese. Hinter ihr fällt der Hang steil ab und gibt den Blick ins Tal auf Meiringen und bis zum Brienzersee frei.  «Du beginnst am besten hier», sagt Dora Wilhelm (50), und zeigt mit ihrer Krücke, an welchen Stellen ihre freiwillige Helferin die Wiese vom Laub befreien soll. Mit schwungvollen Bewegungen macht sich Monika Thürlemann ans Werk. Das Laub kommt ins Handhuttli, welches die Ostschweizerin den kurzen Weg vom Hof aufs Feld mitgebracht hat.

Nachdem auch die zahlreichen Mäusehaufen «verzettet» – also abgetragen – sind, geht›s weiter zum Stall. Die sechs «Geisseni» rennen sofort heran, ihre «Gitzeni» springen irritiert um den Besen, mit dem Monika Thürlemann den Stall wischt, herum.

«Mädchen für alles»

Früher an diesem Morgen hat die Heilpädagogin, die eine ihrer Ferienwochen dem Bergeinsatz widmet, bereits eingekauft, nach dem Stallwischen wird sie das Gemüse für den z'Mittag rüsten. «Am Nachmittag säubern wir die Wiesen von Tannzapfen und morgen «haagen» wir für die Geissen», erläutert Dora Wilhelm.

Die Landwirtin, die auf diesem Hof in Hasliberg Weissenfluh aufgewachsen ist, hat eine Operation am Fuss hinter sich. Allmählich kann sie ihn wieder belasten, aber zur Sicherheit geht sie ausser Haus noch mit Krücken. Sie ist sehr froh um die Unterstützung, «Monika ist Mädchen für alles», sagt sie mit lachendem Blick zu derselben. Diese widerspricht energisch: «Ich habe immer gesagt: Ich mache alles, ausser melken!» Thürlemann ist bereits zum vierten Mal bei Wilhelms im Einsatz.

«Jetzt ist es wie heimkommen», erzählt sie. «Aber als ich vor zwei Jahren das erste Mal mit dem Bus hier ankam, war ich schon ein wenig aufgeregt. Ich hatte keine Ahnung, was das für eine Familie ist, wie die Arbeiten genau sein würden.» Sie wollte damals einen Teil ihres Bildungsurlaubs für andere einsetzen und ist über das Internet auf den Bergeinsatz von Caritas Schweiz (siehe Kasten) aufmerksam geworden.

«Cool ist, dass du auf der Website Region und Zeitpunkt des Einsatzes selber wählen kannst. Auch bei der Arbeit kannst du Präferenzen angeben.» Für den Hof der Wilhelms hat sie sich entschieden, weil die erwähnten Arbeiten eine Mischung aus Haus- und Feldarbeit versprachen. Ausserdem liebt sie das Berner Oberland mit seinen Bergen und Seen.

Tatsächlich hat man vom Hof der Wilhelms einen wundervollen Blick auf das Engelhorn, die Wetterhorn-Gruppe, das Rosenhorn und den Tschingel, wie der Vater von Dora Wilhelm stolz erklärt. Mit seinen 84 Jahren arbeitet er immer noch täglich auf dem Hof mit, seine 76-jährige Frau kocht regelmässig das Mittagessen für die Wilhelms und ihre drei Teenager.Tatsächlich hat man vom Hof der Wilhelms einen wundervollen Blick auf das Engelhorn, die Wetterhorn-Gruppe, das Rosenhorn und den Tschingel, wie der Vater von Dora Wilhelm stolz erklärt. Mit seinen 84 Jahren arbeitet er immer noch täglich auf dem Hof mit, seine 76-jährige Frau kocht regelmässig das Mittagessen für die Wilhelms und ihre drei Teenager.

Externe Arbeitsstelle nötig

Die Hänge rund um den Hof sind steil, mit Maschinen komme man da gar nicht hin, erklärt Wilhelm. «Im meinem ersten Sommer hier waren wir an einem Hang, da mussten wir den Rechen oben im Boden einstecken, damit wir uns daran festhalten konnten», erzählt Thürlemann. «Wir haben etwa acht Stunden «gheuet», und am Ende ergab das bloss anderthalb «Ladewägeli» voll Heu!» Aus ihrem Tonfall wird deutlich, dass sie von ihrem elterlichen Hof anderes gewohnt ist. «Es ist viel Arbeit, und dennoch reicht es finanziell nicht: Dora und ihr Mann Pablo arbeiten beide noch in einem Teilpensum auswärts.»

«In der Regel arbeiten wir auf dem Hof achteinhalb Stunden pro Tag», im Sommer könne es auch mal länger sein, dafür bleibe man bei Regenwetter eher noch etwas am Mittagstisch sitzen, sagt Dora Wilhelm. Seit 2016 nehmen sie und ihr Mann die Unterstützung durch Freiwillige via Caritas in Anspruch. Manche blieben eine Woche, andere länger. «Je länger, desto besser», sagt Dora Wilhelm. Egal ob Lehrer, Informatikerinnen oder Ingenieure, auch Leute aus England und den Niederlanden haben schon auf dem Hof in Weissenfluh mitgeholfen. «Viele aus der Stadt haben von Tuten und Blasen keine Ahnung», sagt sie lachend. «Bevor sie anreisen, frage ich immer nach der Schuhgrösse, wenn sie keine Gummistiefel haben.» Monika Thürlemann ergänzt: «Velohandschuhe sollten sie mitbringen. Mit unseren zarten Händchen bekommen wir beim Rechen schnell «Blatere»»

Politische Zusammenhänge

Dass die Freiwilligen viel fragen, etwa zu den Direktzahlungen, warum man die Placken stechen oder den Tieren die Klauen schneiden muss, freut die Biobäuerin. Sie ist überzeugt, dass durch den Bergeinsatz schon manche/r bei der nächsten Landwirtschaftsvorlage genauer überlegt habe, wie er oder sie abstimmen solle.

Mit den unterschiedlichen Fähigkeiten geht sie pragmatisch um: Wenn die Arbeit draussen für jemanden zu anstrengend ist, sucht sie etwas im Haushalt. Das kann auch mal «bretzeln» oder nähen sein. «Wenn du Freiwillige engagierst, musst du flexibel sein», sagt sie dazu schlicht.  «Sie putzen zum Beispiel den «Schaft» und räumen ihn danach anders ein, als es vorher war...»

Ob sie auch schlechte Erfahrungen macht? «Oh ja», seufzt sie lachend, aber die seien in der Minderheit. Eine Frau etwa war enttäuscht, sie hätte gern mehr draussen als im Haushalt gearbeitet, doch es habe geregnet.  Monika Thürlemann hat keine schlechten Erfahrungen gemacht. «Dora fragt mich jeweils, ob ich diese oder jene Arbeit machen könne.» Es sei wichtig, «möglichst offen zu sein für Neues, für eine andere, etwas enge Wohnsituation, für Arbeiten, die man nicht gewohnt ist.» Das wichtigste aber: «Andere Menschen gernhaben, denn die Familien gewähren einem einen tiefen Einblick in ihr Leben.»

Gegen Kost und Logis
Caritas Schweiz vermittelt seit über 40 Jahren Freiwillige an Bergbauernfamilien. Die Höfe müssen sich in Bergzonen eins bis vier befinden, an den steilen Hängen ist Handarbeit gefragt. Zudem muss sich die Familie in einer Ausnahmesituation befinden, etwa durch einen Unfall, Krankheit, Schwangerschaft oder grössere Bauprojekte. Bergbauernfamilien können ein Gesuch stellen, nach der Bewilligung wird der Hof auf der Website aufgeschaltet.
Hier finden Freiwillige zwischen 18 und 70 Jahren alle Höfe mit einer kurzen Beschreibung und den Arbeiten, die gefragt sind.  Die Freiwilligen arbeiten gegen Kost und Logis, ein Einsatz dauert mindestens eine Woche.
bergeinsatz.ch

 

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