In Ostermundigen haben acht Frauen des interkulturellen Frauentreffs Mosaik die belebende Wirkung des Wassers entdeckt.
Christian Geltinger
Ein Boot auf dem offenen Meer. Auf wenige Quadratmeter konzentriert sich die Hoffnung von Hunderten von Menschen. Hoffnung auf Sicherheit vor Krieg, Gewalt und Terror, Hoffnung auf einen Neuanfang. Nicht ohne Grund nehmen die Menschen das Risiko auf sich, ihre Heimat zu verlassen. Für die einen endet die Reise in den Fluten des stürmischen Meeres, die anderen bleiben ohnmächtig zurück, traumatisiert von den verheerenden Bildern von Menschen, die in die Tiefe gerissen werden, darunter zum Teil ihre eigenen Liebsten.
Diametral entgegengesetzte Erfahrungen
Ortswechsel. Das Hallenbad in Stettlen. Hier trafen sich im Frühjahr acht Frauen aus dem interkulturellen Frauen- und Familientreff Mosaik, um die Faszination des Wassers für sich zu entdecken. Der Treff ist ein Angebot der katholischen Pfarrei Guthirt und der reformierten Kirche Ostermundigen.
«Für die Frauen, die hier zusammenkommen, ist der Treff ein wichtiger Ort, um soziale Kontakte zu knüpfen. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich in alltäglichen lebenspraktischen Dingen weiterzubilden. Wir versuchen aber auch, auf ihre Bedürfnisse als Frau einzugehen, unabhängig von ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau», so Angela Ferrari vom Sozialdienst der Pfarrei Guthirt. Sie hat zusammen mit Eveline Lehmann die Leitung des interkulturellen Angebots.
Hier kommt Claudia Keller ins Spiel. Die ehemalige Lehrerin und Fitnesstrainerin sprüht vor Energie. Jahrzehntelang war sie unter anderem als Schwimmlehrerin aktiv. «Meine älteste Schülerin war 94!» Wenn Claudia Keller über Wasser spricht, gerät sie ins Schwärmen: «Mein Element ist das Wasser. Ich fühle mich als Meerjungfrau. Wenn es mir schlecht geht, tauche ich ab ins Wasser und kann loslassen.»
Die Frauen des Frauentreffs Mosaik haben grösstenteils einen diametral anderen Erfahrungshintergrund in puncto Wasser. Die wenigsten haben Schwimmen gelernt. Manche von ihnen sind zutiefst traumatisiert. Dabei wirkt Wasser wie ein Therapeutikum. «Selbst Menschen mit Demenz oder Depression beginnen im Wasser innerhalb kürzester Zeit zu strahlen. Das Wasser gibt uns das Gefühl, loslassen zu dürfen und getragen zu werden», so Claudia Keller.
Angst überwinden
Genau hierin liegt das Ziel dieses besonderen Angebots: die Überwindung der Angst, das Gefühl von Sicherheit, die Erfahrung von Vertrauen. Für eine vertrauensbildende Atmosphäre sind die Rahmenbedingungen entscheidend. Es wurde mit Freiwilligen der Kirchgemeinden eine Kinderbetreuung bereitgestellt und ein Fahrdienst organisiert. Ausserdem hatte man dafür gesorgt, dass das Hallenbad den Frauen exklusiv für die Zeit des Schwimmkurses zur Verfügung stand.
Claudia Keller war erstaunt, wie angespannt die Frauen teilweise zum Kurs erschienen sind. Für viele sei es eine grosse Überwindung gewesen. Deshalb hat sie ihren Teilnehmerinnen zu Beginn die Chance zum Ankommen und gegenseitigen Austausch gegeben. «Erst mal den Alltag hinter sich lassen, und dann rein ins Vergnügen!»
Und Claudia Kellers Theorie über das Element Wasser hat auch hier wieder seine volle Wirkung entfaltet. «Es ist so schön zu sehen, wie allmählich die spielerische Seite des Menschen im Wasser wieder zum Vorschein kommt. Selbst diejenigen, die sich am Anfang nur zaghaft ins seichte Wasser getraut haben, haben wenige Zeit später ausgelassen herumgespritzt oder sich einfach nur ruhig tragen lassen.
Getragen waren sie natürlich auch von der Gruppe. Am Ende des Kurses waren sie einfach stolz auf sich. Es war eine Freude, das zu sehen.» Acht Frauen, die teilweise Schreckliches erlebt haben, haben im Hallenbad in Stettlen nicht einfach nur einen Schwimmkurs absolviert, sondern eine Lektion in Selbstvertrauen erhalten. Freuen dürfen sich auch die Kinder, die nun mit ihren Müttern ins Schwimmbad gehen können.