Dorothee Sölle (1929 bis 2003), deutsche Schriftstellerin und Theologin. Foto: Keystone, Brigitte Friedrich

«Von Gott kann man kein Bild knipsen»

Dorothee Sölle und das Bildverbot

Die bekannte deutsche evangelische Theologin und Dichterin Dorothee Sölle hat sich mit Gottesbildern auseinandergesetzt. Zu ihrem 20. Todestag am 27. April denkt Odilo Noti über die Relevanz nach, die sie bis heute anhand des Gebots «Du sollst Dir kein Bild machen» hat.

von Odilo Noti*

Das Bilderverbot ist ein merkwürdiges, althergebrachtes Verbot. Und doch geht es ihm um die Freiheit des Menschen. Gegenwärtig wird an Tagungen und in Zeitschriften an den 20. Todestag der deutschen Theologin Dorothee Sölle erinnert. Sie war die wohl meistgelesene theologische Schriftstellerin ihrer Zeit. Weil sie Religion nicht abstrakt, sondern konkret, nicht jenseitig, sondern diesseitig, nicht privat, sondern politisch-öffentlich verstanden hat.

Als Dorothée Sölle einmal mit Kolleg:innen und Freund:innen zusammensass, hat sie auf ihre anschauliche Art erzählt, sie sei sicher über hundertmal von Journalist:innen gefragt worden: «Was für ein Bild von Gott haben Sie eigentlich?» Sie brummte dann manchmal, sie hätte kein Bild von Gott. Schliesslich dürfe man nach den Geboten der Bibel keines haben. Oder sie merkte an, sie hätte mal dieses, mal jenes Bild – Vater oder Mutter. Es komme darauf an, wo und wann sie Gott begegne.

Manchmal wurde sie auch böse und fauchte: «Können Sie denn nicht für ein paar Sekunden den blöden kleinen Kasten beiseitelegen, mit dem Sie ihre Bilder schiessen?» Gerechtigkeit könne man nicht filmen, Trost nicht fotografieren, Menschenfreundlichkeit nicht dokumentieren. Gott werde manchmal sichtbar – «er steht aber nicht zur Verfügung. Deshalb kann man von ihm auch keine Bilder knipsen.»

Uraltes Gebot schützt zuerst Gott

Gott kann man nicht fotografieren – Sölle macht damit auf ein uraltes Gebot aufmerksam. Es ist das zweite der Zehn Gebote aus dem Alten Testament. Es lautet: «Fertige kein Gottesbild an. Mach dir auch kein Abbild von irgendetwas im Himmel, auf der Erde oder im Meer!»

Es ist ein merkwürdiges Gebot. Ein Gebot aus einer anderen Zeit. Wenn man sich von Gott kein Bild machen soll, dann muss zunächst einmal Gott geschützt werden. Gegenüber kirchlichen und weltlichen Machthaber:innen, gegenüber Ideolog:innen und Fundamentalist:innen. Das Bilderverbot richtet sich gegen all jene, die Gott und Religion für ihre unheiligen Zwecke vereinnahmen wollen. Und gegen alle, die meinen, Gott und die Wahrheit zu besitzen.

Bilderverbot schützt auch Menschen

Das Gebot schützt aber nicht nur Gott. Das Bilderverbot bezieht sich darüber hinaus auf alles, was auf der Erde ist. Das Bilderverbot schützt auch den Menschen. Alle haben wir doch so unsere Erfahrungen gemacht, dass wir in eine Schublade gesteckt werden. Als Frau musst du ja so denken, heisst es dann. Oder: Als 16-Jähriger kannst du nicht anders, wir waren auch mal so. Oder: Das ist wieder einmal typisch für Beamte, Welsche, Akademiker:innen oder Sozis usw.

Das Bilderverbot sagt dagegen: Gott will keine Schubladen. Soziale Schicht, Geschlecht, Anlagen, Milieu, Bildung – das sind unbestritten wichtige Faktoren. Als Mensch bin ich aber mehr. Ich gehe auch nicht auf in den Bildern, die sich andere von mir machen. Ich bin nicht nur das, was andere von mir vermuten, wissen, erwarten oder voraussagen.

Gegen Vorurteile und Klischees

Bilder sind gefährlich. Menschen müssen vor Bildern geschützt werden. Wir reden heute statt von Götzenbildern von Klischees, Vorurteilen oder eben Schubladen. Wer zum Beispiel lange genug für dumm, unmündig und asozial erklärt wird, der wird am Ende dumm, unmündig und asozial. Schlechte Lehrpersonen, absolutistische Kirchenführende und autoritäre Regierungen haben uns das immer wieder vordemonstriert.

Dorothée Sölle hat es so formuliert: «Das zweite Gebot hütet die Freiheit des Menschen. Gemeint ist damit nicht eine Ellbogenfreiheit, die sich auf Kosten der anderen gross macht. Es ist eine solidarische Freiheit, eine Freiheit, die wir einander gewähren und zusprechen.»


* Odilo Noti ist Theologe und Präsident der Stiftung Weltethos Schweiz. Zudem präsidiert er die Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche.

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