Schwingen, ein Sport mit vielen
Ritualen. Foto: SGG, Montage

Was die Kirche von den Schwingern lernen kann

Interview mit Lukas Niederberger, einem Mitorganisatior von Bundesfeiern

Letztes Jahr war die 1. August-Feier auf dem Rütli ein Frauen-Event. In diesem Jahr spielen Schwinger die Hauptrolle. Reiner Zufall, versichert Lukas Niederberger (58), bis vor kurzem Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, welche die Bundesfeier organisiert.

Von Wolfgang Holz, kath.ch

Sollen die Schwinger am 1. August dafür sorgen, dass mehr national gesinnte Besucher den Weg aufs Rütli nehmen? Oder ist es ein Ausgleich zum Frauen-Rütli des vergangenen Jahres?

Lukas Niederberger*: Das ist Zufall. Seit mehr als zehn Jahren gestalten wir die Bundesfeier auf dem Rütli mit einer landesweit tätigen Organisation, die in der Regel ein Jubiläum feiert. Der Eidgenössische Schwingerverband feierte im Jahr 2020 sein 125-jähriges Bestehen. Wegen Corona mussten wir die Feier verschieben. Dass letztes Jahr fast ausschliesslich Frauen auf dem Rütli feierten und dieses Jahr ein Verband, der aus männlichen Mitgliedern besteht, ist ein Zufall.

Schwingen ist ein Sport mit vielen Ritualen. Ein Schwinger, der einen Kampf gewonnen hat, muss seinem Gegner das Sägemehl vom Rücken wischen. Auch geben sich die Kontrahenten vor und nach dem Kampf die Hand. Sind diese Zeichen eine Minimalform von Nächstenliebe?

Nächstenliebe ist ein grosses Wort. Mir gefallen die beiden von Ihnen genannten Schwinger-Rituale sehr. Vielleicht sollte man die bei Abstimmungen in den parlamentarischen Räten ebenfalls einführen.

Schwinger werden schon von frühester Jugend an erzogen, den Gegner zu achten und auch nach Siegen nicht zu euphorisch zu reagieren, sondern eher demütig zu bleiben.

Ähnliche Rituale kennt man auch in asiatischen Sportarten wie dem Judo. Ich finde das vorbildlich. Und auch hier würde ich sagen, dass sich Politik, Unternehmen und Organisationen eine Scheibe davon abschneiden könnten – und mit Verlaub gesagt: die Kirchen auch.

Bei kantonalen Schwingfesten, die am Sonntag stattfinden, gibt es die sogenannte Sonntagsstille. Es gibt katholische Pfarrer, die in dieser Pause einige Worte an das Publikum richten – und sogar die Kommunion austeilen.

Ich finde Kombinationen von inhaltlich recht unterschiedlichen Settings etwas problematisch. Wenn Schwinger oder Zuschauerinnen und Zuschauer nicht katholisch oder christlich sind, werden sie religiös vereinnahmt.

Im Vergleich zum Fussballpublikum in grossen Stadien verhalten sich die Zuschauenden beim Schwingen generell eher ruhig. Wie denken Sie darüber?

Das Publikum unterscheidet sich bei den einzelnen Sportarten tatsächlich stark voneinander. Ich fände es aber nicht gut, wenn man das Publikum des einen Sports gegen das Publikum eines anderen Sports ausspielt. Vermutlich grölen Zuschauer bei einem Schach- oder Golfturnier eher selten. Dafür vermögen diese Sportarten niemals so viele diverse Menschen zu begeistern wie König Fussball, Rugby oder Eishockey.

Es gibt ein Mysterium beim Schwingen, dessen Grund auch Experten nicht zu erklären wissen: Die besten Schwinger werden nämlich die «Bösen» genannt. Könnte man darin eine religiöse Komponente entdecken, nach dem Motto: Der Sieg ist ein zweischneidiges Schwert, und die Moral steht auf der Seite des Verlierers? Ist er der «Gute»?

Ich habe mich auch schon gefragt, woher der Ausdruck «die Bösen» stammt. Ich habe mir das als Kind jeweils so vorgestellt, dass Schwinger friedliche Menschen sind, dass man sie aber besser nicht unnötig provoziert, weil sie einen im Extremfall ziemlich durch die Luft wirbeln könnten.

* Lukas Niederberger (58) war bis Mitte Juni Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, welche die Rütlifeier verantwortet. Der katholische Theologe war früher Mitglied des Jesuitenordens.

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