Im Inselspital gibt es mancherlei Weihnachtsschmuck: Kugeln, Sterne, verpackte Geschenke – jeden Dezember das vertraute Bild auf fast allen Stationen. Als ich aber vor einigen Tagen eine Installation im Notfallzentrum gesehen habe, wurde ich überrascht: Jemand hat einen Weihnachtsbaum gebastelt – doch nicht aus grünen Tannenzweigen, sondern aus blauen medizinischen Einweg-Handschuhen.
Eine Pflegende sah, wie ich das Kunstwerk fotografierte, und fragte mich: «Finden Sie das gut?» Vielleicht war sie selbst nicht ganz sicher, was sie davon halten sollte, oder sie war einfach neugierig, was der Seelsorger wohl dazu sagen würde
Ich muss sagen: Mir gefällt dieser Christbaum. Mir gefällt das Blau. Der Baum lässt mich an die vielen helfenden Hände denken, die zusammenarbeiten müssen, damit ein Patient oder eine Patientin behandelt und hoffentlich geheilt werden kann.
Später denke ich: Das Erstaunen, das dieses Kunstwerk bei mir auslöst, erinnert mich daran, dass eigentlich das ganze Weihnachtsgeschehen eine Überraschung ist. Wieso?
Manche Patientinnen und Patienten stellen sich Jesus vor als starken Helden, der uns mit überirdischer Kraft aus dem Elend emporzieht. Die Welt ist schlecht, die Menschen leiden, der ausserirdische Superheld kommt und rettet uns. Ich kann dieser Vorstellung etwas abgewinnen. Sie hat etwas Tröstliches.
Könnte es aber auch tröstlich sein, sich vorzustellen, dass Jesus ein schwacher Mensch war? Einer, der selbst Schmerzen und Angst hatte, gelitten hatte und zuletzt gestorben ist? Manche Patientinnen und Patienten jedenfalls halten sich gerade an diese Vorstellung. Mit diesem menschlichen Jesus können sie sich identifizieren. Und sie vertrauen darauf, dass er uns rettet, indem er unser menschliches Schicksal mit all seinen Abgründen teilt.
Ich glaube, dass die Weihnachtsgeschichte diese Geschichte erzählt: Der verwundbare Jesus ist in Wirklichkeit der starke, mächtige Retter – und umgekehrt. Das ist die unfassbare Überraschung, die wir an Weihnachten feiern. Im Notfallzentrum des Inselspitals und anderswo.
Hubert Kössler, Seelsorger im Inselspital
