Hat dem Forschungsteam den Zugang zum Botschaftsarchiv verweigert: Nuntius Martin Krebs. Foto: kna

Wer hat die Schlüssel zum Archiv der Nuntiatur?

kath.ch-Serie: «Wo stehen wir?» (1)

Die Empörung war gross, als man letzten September erfuhr: Dem Forschungsteam, das Missbrauch in der Kirche untersucht, war der Zugang zum Archiv der Nuntiatur in Bern verweigert worden. Nun nimmt das Team einen neuen Anlauf. Wer ihm Zugang verschaffen kann, ist noch immer unklar.

von Barbara Ludwig

Am 12. September vergangenen Jahres haben Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich die Ergebnisse ihrer Pilotstudie zum Missbrauch in der katholischen Kirche Schweiz publiziert. Seit Anfang Jahr arbeitet das Team um die Historikerinnen Monika Dommann und Marietta Meier an der Hauptstudie, die Ende 2026 der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Völkerrecht schützt Archiv der Nuntiatur

Für die Hauptstudie wollen die Forscherinnen und Forscher auch die Akten der Apostolischen Nuntiatur in Bern berücksichtigen, wie Dommann und Meier auf Anfrage mitteilen. Die Nuntiatur ist die diplomatische Vertretung des Heiligen Stuhls. Beim Pilotprojekt war den Forschenden der Archivzugang verwehrt geblieben. Der Botschafter des Papstes in der Schweiz, Erzbischof Martin Krebs, hatte ein Gesuch um Akteneinsicht im Februar 2023 negativ beantwortet.

Grund: Wie alle Botschaften geniesst auch die Nuntiatur in Bern diplomatischen Schutz. Geregelt ist dies im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961, das für  die Schweiz seit 1964 in Kraft ist. Der völkerrechtliche Vertrag hält in Artikel 24 fest, dass die Archive und Schriftstücke diplomatischer Missionen – gemeint sind die Botschaften – «jederzeit unverletzlich sind, wo immer sie sich befinden». Auch die «amtliche Korrespondenz» der Mission ist «unverletzlich», heisst es in Artikel 27 Absatz 2.

Forscherinnen klopfen nochmals an

Trotz dieser Rechtslage werden die Historikerinnen Monika Dommann und Marietta Meier bei der Nuntiatur in Bern erneut ein Gesuch um Akteneinsicht stellen – und auch beim Dikasterium für die Glaubenslehre im Vatikan. «Wir führen derzeit noch Sondierungsgespräche durch und werden die Akteneinsichtsgesuche nach deren Abschluss stellen. Wir gehen momentan davon aus, dass dies im März der Fall sein wird», teilen sie kath.ch mit.

Abläufe rekonstruieren

Der Einblick in die Nuntiatur-Archive ist zentral, um die Abläufe zwischen den Diözesen, dem Nuntius und dem Vatikan im Umgang mit Missbrauchsfällen zu rekonstruieren und zu verstehen. Die Konsultation dieser Archive diene auch dazu, in Fällen von Aktenvernichtungen Lücken zu schliessen, so die Historikerinnen. Bereits in der Pilotstudie hatte das Team Aktenvernichtungen in mindestens zwei Diözesen der Schweiz nachweisen können.

Dass Nuntius Martin Krebs dem Forschungsteam den Zugang zum Botschaftsarchiv verweigert hatte, stiess in der Öffentlichkeit auf Unverständnis und Kritik. Der Churer Bischof Joseph Bonnemain versprach am 12. September vergangenen Jahres, er werde sich persönlich beim Papst für die Öffnung des Nuntiatur-Archivs einsetzen.

Wer darf den diplomatischen Schutz ausser Kraft setzen?

In der Öffentlichkeit ist unklar, welche Instanz den diplomatischen Schutz für Forschungszwecke ausser Kraft setzen kann. Wer ist befugt, den Archivzugang auf Gesuch hin zu gewähren? Der Nuntius, der Papst höchstpersönlich oder doch jemand anderes?

Auch viele Expertinnen und Experten zeigen sich unwissend. So sagen manche Kirchenrechtler, sie wüssten nicht Bescheid in Fragen des Völkerrechts, während die Völkerrechtsexperten den Ball wiederum der anderen Berufsgruppe zuspielen, weil es um die Kompetenzregelung innerhalb der kirchlichen Hierarchie gehe.

Kardinalstaatsekretär entscheidet

Dennoch haben einige Experten kath.ch Antwort gegeben. Norbert Lüdecke, emeritierter Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, sagt klar: «Der Nuntius hat diese Kompetenz nicht.» Ansprechpartner für eine Sondererlaubnis wäre der Kardinalstaatssekretär. Zurzeit ist dies Pietro Parolin.

Parolin leitet das vatikanische Staatssekretariat, also die Behörde, die für die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Stuhls zu anderen Staaten zuständig ist. Damit ist er die Nummer Zwei im Vatikan und der direkte Vorgesetzter von Martin Krebs. Gegenüber dem «Sonntagsblick» (1. Oktober 2023) hatte Parolin zu einer punktuellen Einsicht in Missbrauchsakten gesagt: «Das können wir prüfen.»

Kein Rechtsanspruch

Der deutsche Kirchenrechtler Georg Bier hält gegenüber kath.ch fest, dass es keinen Rechtsanspruch auf Archivzugang gebe. «Gerade dies soll das Wiener Übereinkommen über die grundsätzliche Unverletzlichkeit der diplomatischen Immunität sowie der Archive, der Dokumente und des Schriftverkehrs ja gewährleisten.»

Allerdings könne der Heilige Stuhl die Immunität seiner Diplomaten auf Antrag aufheben, so der Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg im Breisgau. Dies sei in der Vergangenheit auch schon geschehen. Georg Bier verweist auf den Fall Luigi Ventura in Frankreich. 2019 hatte der Vatikan die diplomatische Immunität seines Botschafters in Paris auf Anfrage der französischen Staatsanwaltschaft aufgehoben.

«In analoger Weise» könnte laut Georg Bier auch der Zugang zu den Archiven der Nuntiatur in Bern ermöglicht werden – «auf freiwilliger Basis». Der Schweizer Kirchenrechtler René Pahud de Mortanges teilt diese Einschätzung.

Man darf also gespannt sein, ob das Forschungsteam um Monika Dommann und Marietta Meier dieses Mal grünes Licht bekommt. Vielleicht erfährt man dann auch, wer wirklich den Schlüssel zum Botschaftsarchiv in Händen hält.

 

In Bern kaum relevantes Material
Mario Galgano, langjähriger Schweizer Redaktor bei Vatican  News, geht davon aus, «dass in der Nuntiatur in Bern kaum relevantes Material für die historische Aufarbeitung zur Missbrauchsstudie zu finden ist», wie er auf Anfrage des «pfarrblatt» sagt. «Vielmehr sind aus historisch-wissenschaftlicher Sicht die Archive an der Römischen Kurie im Vatikan wichtig und aufschlussreich. Meines Erachtens müsste für eine seriöse historisch fundierte Auswertung vor allem die Dokumente in Rom im Blick genommen werden.» sys

 

Serie: Wo stehen wir? Es folgen:
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