Die Vorweihnachtszeit ist von Glanz und Rummel geprägt. Wie wirkt der Advent auf Menschen, die keine christliche Weihnacht feiern? Die Alevitin Özlem Duvarci und der Hindu Vishnu Malli erzählen.
Aufgezeichnet von Anouk Hiedl
Özlem Duvarci, Alevitin
«In meiner kurdischen Heimat ging drei Tage vor Neujahr jeweils ein verkleidetes altes Paar mit Musik und Lärm von Haus zu Haus, um Mehl, Bulgur, Früchte, Melasse, Holz usw. zu sammeln. Vor jeder Tür führten die Alten, gefolgt von allen Kindern des Dorfes, ein kleines Theater auf und stritten sich, bis die Frau in Ohnmacht fiel und etwas Süsses brauchte, um aufzuwachen. Gaben ihnen die Bewohner:innen etwas Essbares, wünschte man ihnen fürs kommende Jahr eine gute Ernte. Zum Schluss kochten die Jugendlichen mit einem Teil der Gaben bei der ärmsten Familie des Dorfes und überliessen ihnen den Rest der Esswaren.
Früher gab es weitere solche Rituale im Winter, weil die Dorfbevölkerung dann mehr Zeit hatte. Letztes Jahr haben wir in der Dergâh, dem Versammlungsort der Alevit:innen im Berner Haus der Religionen, dieses Theater nachgespielt, dazu musiziert und unsere Kinder beschenkt. Die Idee solcher Rituale ist, dass man zusammenkommt.
Im Westen gibt es ähnliche Traditionen, etwa Halloween, Samichlaus oder Weihnachten. Als ich als Kind nach Fribourg kam, fand ich den Advent mehr stressig als freudvoll und erlebte das «Dessert» – Weihnachten – nicht mit, da wir dieses Fest nicht feiern. Als Alevitin lebte ich in einer Parallelwelt. Ich wusste nicht, was meine Freund:innen am 24. Dezember machen, und hatte nach den Ferien nichts zu erzählen.
Früher fuhren an den Feiertagen auch keine Busse. Man war auf sich allein gestellt oder machte allenfalls etwas mit anderen, die auch nicht feierten. Was Weihnachten ist, habe ich erst mit meinen Kindern erfahren. Sie wachsen mit der alevitischen und der christlichen Kultur auf. Seither nehme ich den Advent anders wahr und tauche auch ins Schenken-Müssen ein. Die Dekorationen überlasse ich meinem Mann.
Da ich keine Erinnerungen mit dem Weihnachtsbaum verbinde, ist er nicht so speziell für mich. Aber ich finde es wichtig, dass alevitische Kinder sehen und verstehen, warum Christ:innen das tun. Mittlerweile verbringe ich Weihnachten mit Familie und Freund:innen. Wir essen, trinken und freuen uns, über die Kernfamilie hinaus. Ich gehe heute mit der Gesellschaft ins Thema und nach dem geteilten Stress in die geteilte Freude.»
Vishnu Malli, Hindu
«Ich bin im indischen Mangalore aufgewachsen. Dort ist ein Drittel der Bevölkerung katholisch. So ging auch ich als Hindu in eine katholische Schule, pflegte enge Freundschaften mit katholischen Kindern, und Weihnachten hatte einen speziellen Stellenwert in meinem Leben. Mit Begeisterung hängten wir zu Hause Weihnachtssterne auf, dekorierten den Weihnachtsbaum und bewunderten die festlichen Krippen im Quartier.
Die allgegenwärtige Weihnachtsfreude gehörte zu meinem Leben in Indien dazu. Am 25. Dezember besuchten uns jeweils Freund:innen, um Weihnachtslieder zu singen, und wir assen gemeinsam zu Mittag. Später gingen einige zur Weihnachtsmesse, während wir uns für den Weihnachtsball bereitmachten. Um Mitternacht versammelten wir uns vor der Kirche, gingen gemeinsam auf den Ball und feierten die ganze Nacht lang zusammen.
Weihnachten ist für mich kein religiöses, aber ein gemeinschaftliches Fest – eine Zeit des Heimkommens, um in fröhlicher Atmosphäre mit Familie und Freund:innen aus der Kindheit zusammen zu sein. Als ich vor zwölf Jahren in die USA zog, wurden die Weihnachtstage mehr zu Ferien, während denen ich umherreiste und einzigartige Erfahrungen machen konnte.»