Andreas Kessler, Theologe, Poetry-Slammer und Fachdidaktiker an der PH der Universität Bern, über Sünde, Beichte und Dentalhygiene.
Interview: Katharina Kilchenmann
Was ist für Sie eine Sünde?
Alles, was das Leben erstickt, was die Lebendigkeit in der Natur, in den Menschen schwächt, empfinde ich als Sünde. Oder wenn ich feige bin und mich nicht für das, was ich richtig finde, einsetze. Doch will ich keineswegs moralisieren, denn, seien wir ehrlich, wir alle sind «krumme Hölzer». Wir haben Makel, machen Fehler, haben Ecken und Kanten.
Die Sünde gehört also zum Menschsein?
Ja, deswegen brauchen wir Ermunterung und Zuspruch, dass wir trotzdem angenommen und geliebt werden. Ich erlaube mir, die Beichte mit einem Besuch bei der Dentalhygienikerin zu vergleichen. Zweimal im Jahr macht sie mich darauf aufmerksam, dass ich zu viel Kaffee trinke und rauche und zu selten Zahnseide benütze. Sie betet alles runter, was ich falsch mache, und reinigt daraufhin meine Zähne.
Sie fühlen sich angenommen, obwohl Sie nicht perfekt sind?
Genau. Man könnte sagen, dass der moderne Mensch weniger den Kirchenvertretern beichtet, sondern vielmehr denen, die für das richtige, gesunde Leben stehen. Das Konzept der Beichte, das eigentlich genial ist, findet sich also auch im säkularen Leben wieder.