Peter Kirchschläger befürwortet das politische Engagement der Kirchen. Foto: Vera Rüttimann

«Wir laufen gegen eine Wand»

Kirchliche Institutionen über Klimagerechtigkeit

Vertretende von zehn kirchlichen Institutionen diskutierten am 26. Oktober in Bern darüber, wie viel CO2 die Schweiz unter dem Aspekt der Klimagerechtigkeit noch ausstossen darf. Der Welt bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Klimaerwärmung zu stoppen.

Von Vera Rüttimann

Die Welt brennt. Zu diesem Fazit kommt Stefan Salzmann, Fachverantwortlicher für Klimapolitik bei Fastenopfer. Er präsentierte an der Fachtagung von Klima Allianz Schweiz alarmierende Zahlen: Aus dem Bericht von Klimawissenschaftlern geht hervor, dass die Welt noch 420 Gigatonnen CO2 zur Verfügung hat, wenn sie das 1,5 Grad-Ziel mit 66% Wahrscheinlichkeit erreichen will. 420 Gigatonnen sei das Guthaben, das die Welt noch habe. «Wenn die Welt in den Jahren 2021/22 gleich viel ausstösst wie 2019, dann können wir sagen, dass im März 2022 das klimagerechte CO2-Restbudget für unser Land aufgebraucht wäre», so Stefan Salzmann.

Systemwandel nötig

Die Aussage von katholischen und reformierten Hilfswerken, fünf Monate lang könne die Schweiz CO2 ausstossen, alles darüber hinaus sei ungerecht, löst Diskussionen aus – auch auf dem von Bernd Nilles, Geschäftsleiter des Fastenopfers, moderierten Podium. Andrea Burkhardt, Leiterin der Abteilung Klima beim Bundesamt für Umwelt, fragt gleich zu Beginn: «Was würde das für jeden Einzelnen konkret bedeuten? Etwa für Hausbesitzer, die ihre alten Ölheizungen teuer ersetzen müssen?»

Bernd Nilles verlangt einen Systemwandel – jetzt. Peter Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik der Universität Luzern, stimmt dem zu: «Es wäre aus ethischer Sicht problematisch, dieses Ausmass der Klimakrise, die auch auf strukturellen Ursachen fusst, auf individuelle Schultern zu übertragen.» Daher müsse man, so der römisch-katholische Theologe, die strukturellen Probleme des Klimawandels angehen. Es könne auch nicht sein, dass jene Unternehmen, die nachhaltig wirtschafteten, finanziell benachteiligt seien. Sonia Seneviratne, Professorin für Land-​Klima Dynamik an der ETH Zürich, mahnt in diesem Kontext zu mehr Pioniergeist in der Schweiz: «Den vermisse ich hier. Die Schweiz steht in der Pflicht, mehr zu tun.»

Die Diskussionsteilnehmer*innen des Panels kommen zum Schluss: Es braucht einen Klima-Lockdown. Das würde sofortiges Innehalten bedeuten. «Wenn ich mir die Strategien zur Klimapolitik in der Schweiz ansehe, schockiert mich zum einen die fehlende Verbindlichkeit. Zum anderen das blinde Vertrauen auf Technologien, die diese Krise lösen sollen», hält Peter Kirchschläger fest.

Kirchliches Engagement

Auffallend ist: Auf dem Podium sitzen keine kirchlichen Vertreter wie beispielsweise ein Bischof. Die Gespräche drehten sich um die Frage, ob Kirche den öffentlichen Auftritt zu Klimafragen scheue, obwohl diese nicht mehr so intensiv diskutiert werden wie vor 30 Jahren? Auch Peter Kirchschläger stellt die Zurückhaltung der Kirche fest, sich politisch zu äussern: «Gewisse Leute hat das Engagement der Kirchen für die Konzernverantwortungsinitiative gestört. Aber ich glaube, die grosse Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung hat das als Bereicherung für den demokratischen Meinungsbildungsprozesses gesehen.» Es sei sehr wichtig für die politische Kultur dieses Landes, dass sich die Kirche auch zu politischen Themen äussere. «Wenn sie das nicht tut, ist das für mich in keiner Weise mit ihrem Selbstverständnis vereinbar», schiebt der Theologe nach. Ihre Stimme müsse in der Klimafrage sogar noch stärker werden. Sie dürfe sich nicht durch gezielte Kampagnen einschüchtern lassen.

Gegensteuer drängt

Kurt Zaugg-Ott, Leiter der Fachstelle «Kirchen für die Umwelt», sagt beim anschliessenden Apéro: «Wir laufen auf eine Wand zu. Wir üben uns in Schweizer Gemütlichkeit, während eine von Klimafachleuten prognostizierte Realität auf uns zusteuert, die unser Leben bedroht. Bernd Nilles erinnert daran, dass es bereits 1989 eine intensive Klima-Debatte in der Kirche gab. Hervorgerufen wurde sie durch das Buch «Die Zeit drängt» des deutschen Physikers Carl Friedrich von Weizäcker. 30 Jahre später drängt die Zeit mehr denn je.

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