Hört der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, auf seine Gläubigen? Foto: Christoph Wider

«Wir sind Ohr»: Reformstau auch im Bistum Chur

Nur kleine Unterschiede zwischen Chur und Basel

Umfrage «Wir sind Ohr»: Nun sind auch die Resultate aus dem Bistum Chur da. Auch hier wird das freiwillige Engagement gelobt und der Ausschluss von Geschiedenen und Frauen kritisiert. Die Unterschiede zum Bistum Basel sind geringfügig.

Von Eva Meienberg/Sylvia Stam

Im Unterschied zum Bistum Basel zeichneten sich die Dialoggruppen im Bistum Chur durch «einen besonders hohen Stellenwert des Austausches mit Gott für die individuelle Entscheidungsfindung» aus. Gemeinsame Basis seien dabei einerseits die christlichen Grundwerte, andererseits der grosse Stellenwert von Ritualen wie der Feier der Sakramente oder gemeinsame Gebetszeiten.

In wesentlichen Punkten sind die Resultate aus Chur jedoch mit denen aus dem Bistum Basel vergleichbar. So wünschen sich auch die Churer Dialogteilnehmer:innen eine Kirche, die sehr offen und einladend ist auch für «die Menschen, die Gott noch nicht gefunden haben», heisst es im Bericht. Denn die Dialoggruppen im Bistum Chur finden zwar die Taufe besonders wichtig. Anderseits machen sie die Zugehörigkeit zur Kirche nicht davon abhängig. Was zählt, ist lediglich das Gefühl der Zugehörigkeit. Ob jemand Kirchensteuern bezahlt, ist hingegen für die Dialogteilnehmenden nicht von Bedeutung. Auch in diesen beiden Punkten geht Chur mit Basel einig.

Churer Herzblut

Eine weitere Churer Besonderheit ist das «Herzblut», das in das soziale Engagement und die individuelle Beteiligung in der Kirche fliesse. Im Bistum Basel sei das etwas weniger der Fall. In beiden Bistümern wird aber die freiwillige Arbeit als zentraler Wert und «Identifikationsanker» und «Inspiration» erlebt, in Chur insbesondere bei Frauen. Sie sie «Quelle der Freude und Zufriedenheit».

Wie in den Bistümern St. Gallen und Basel haben die Dialogteilnehmenden die Gelegenheit genützt, um «sehr konkrete Inputs, Forderungen und Wünsche» zu formulieren. Die Autoren der Studie leiten aus den Forderungen Spannungsfelder ab, die in den Augen der Gläubigen sehr relevant und dringlich seien. Zu den Spannungsfeldern gehören, analog zum Bistum Basel: «die Rolle der Frau in der Kirche», «der Umgang mit Minderheiten oder Lebensformen, die nicht einer traditionellen Vorstellung entsprechen (LGBTQI+, Geschiedene, Wiederverheiratete) und «die zeitgemässe Gestaltung von Riten und Feiern». Unterschiede zeigen sich jedoch in der Reihenfolge: Im Bistum Chur sind es in erster Linie die Geschiedenen, die gemäss den Dialoggruppen aussen vor gelassen werden während in Basel und - gemäss dem Bericht für Chur auch im Bistum St. Gallen - die Frauen zuerst genannt wurden.

Widerspruch zur Doktrin

Zwischen der «katholischen Kirche als Institution» und «der Basis der Gläubigen» herrsche ein grosser Graben, steht im Churer ebenso wie schon im Basler Bericht. So werde der Glaube an der Basis den heutigen Lebensrealitäten angepasst gelebt und stehe damit «immer wieder auch im Widerspruch zur Doktrin». Das bewirke Willkür und schaffe Verwirrung, wie einige Dialoggruppen zu bedenken geben. Die Ausrichtung der Kirche hänge dann von einzelnen Menschen ab, was sowohl positiv als auch negativ bewertet wurde.

Ebenfalls ambivalent beurteilten die Dialogteilnehmenden die Diversität in der katholischen Welt-Kirche. Sie sei «Chance und Problem» in einem. Damit in Zusammenhang steht das Bedürfnis nach mehr Zusammenhalt in der Kirche und gleichzeitig aber auch nach individuellen Gestaltungsmöglichkeiten. Mehrere Dialoggruppen schlugen vor, von «den demokratischen Entscheidungsprozessen in der Schweiz zu lernen» und sich «stärker mit dem Thema Föderalismus auseinanderzusetzen».

Reformstau

Wie im Bistum Basel wird auch im Bistum Chur ein Reformstau diagnostiziert. Die Dialogteilnehmenden fühlten sich von der Kirche nicht ernst genommen und seien zunehmend entmutigt und resigniert.

Die Sicht der Dialogteilnehmenden auf die Themen Dialog und Teilhabe könnten Ansatzpunkte liefern, von denen aus man einen Reformprozess in Angriff nehmen kann. Eine «tragfähige Basis» ist gemäss den Autor:innen des Berichts gegeben. Denn für den Dialog in der Kirche brauche es eine Kommunikationskultur (Sprache, Glaubenshaltungen, Glaubensüberzeugungen), welche vorhanden sei.

Verständigungsschwierigkeiten

Hemmend wirkten sich jedoch die Verständigungsschwierigkeiten aus, etwa für Personen mit Beeinträchtigung oder anderen sprachlichen oder kulturellen Hintergründen oder für junge Menschen. Erschwert werde das Verständnia aber auch durch Hierarchien, so der Bericht.

Der «Einbezug aller Beteiligten» wird sodann von den Dialogteilnehmenden als unzureichend beurteilt. Zwar gäbe es «Räume der Teilhabe» mit denen Gremien, Räte und Mitgestaltung der Gottesdienste gemeint sind. Nur seien diese Räume «spürbar entkoppelt von den Lebenswelten der offiziellen Kirche». Was zur Folge habe, dass sich die Lebensrealitäten der Basis mit der der Kirchenvertreter reibe, heisst es weiter.

Unterschiedliche Wertvorstellungen stärker spürbar

Die «grössten Baustellen» jedoch sehen die Dialogteilnehmenden in der «Relevanz der Teilhabe». Auch dieses Resultat teilt Chur mit Basel. Es hätten zwar Dialoge in der Kirche stattgefunden, diese seien aber folgenlos geblieben. Was zur Überzeugung geführt habe, man werde nicht ernst genommen. Über Jahre hinweg habe dies zu Resignation geführt, heisst es im Bericht.

Gleichzeitig gebe es «ganz klar auch Stimmen, die sich wieder eine stärkere Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen wünschen», heisst es im Bericht. Viele fühlten sich als bekennende Katholik:innen selber marginalisiert. «Das ist im Bistum Chur besonders zu spüren, wo die Frage der unterschiedlichen Wertvorstellungen innerhalb der Kirche zuweilen stärker in den Vordergrund tritt als in den Bistümern St. Gallen und Basel». Die Resultate des Bistums St. Gallen werden am 11. Februar publiziert. (kath.ch/sys)

Der Bericht des Forschungsinstituts Gfs Bern basiert auf den Antworten aus 216 Dialoggruppen, die am synodalen Prozess im Bistum Chur teilgenommen haben. 1472 Einzelpersonen, etwas mehr Frauen als Männer, haben mit ihren Beiträgen zu einer synodalen Kirche beigetragen.

 

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