«Man kann ein nicht gesuchtes Amt auch plötzlich mögen und gernhaben».
Heinrich Gisler. Foto: Pia Neuenschwander

«Wissentlich, willentlich und wirklich»

Gespräch mit dem abtretenden Synodalratspräsidenten Heinrich Gisler

Im Juni 2017 wurde Heinrich Gisler Präsident des damaligen Synodalrates der röm.-kath. Landeskirche des Kantons Bern. An der Sitzung des Landeskirchenparlaments vom 21. August tritt er nun zurück. Zeit, um Bilanz zu ziehen.


Interview: Andreas Krummenacher

«pfarrblatt»: Sie haben das Präsidium des damaligen Synodalrates gleichsam notfallmässig übernommen. Jetzt, drei Jahre später, ist alles anders, selbst der Synodalrat heisst nicht mehr so. Eine ereignisreiche Zeit. Wie geht es Ihnen?

Heinrich Gisler: Mir geht es sehr gut; eine interessante, befriedigende, aber auch eine zweifellos belastende Zeit geht nun wissentlich, willentlich und wirklich zu Ende. Ich möchte jedoch festhalten, dass ich im Juni 2017 das Amt des Synodalratspräsidenten nicht notfallmässig übernommen habe, hatte ich nach dem gesundheitsbedingten Ausscheiden von Claire Haltner doch einige Monate Bedenkzeit. Ich habe dieses Amt zwar nicht gesucht, aber «es gibt keine Zufälle, sondern es fällt einem zu, was fällig ist».

Es gab eine schrittweise Loslösung vom Kanton, die Pfarrpersonen werden neu von den Landeskirchen direkt angestellt. Unzählige Reglemente und Gesetze mussten neu formuliert und angepasst werden. Eine riesige Herausforderung ...

Zweifellos. Eine so komplexe und arbeitsintensive Aufgabe mit einem Minimum an mitdenkenden und mitarbeitenden Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern zu lösen, ist in der Tat eine Herkulesaufgabe. Es war alles in allem eine «Generalstabsübung», die von der Projektleiterin und den Projektverantwortlichen gemeinsam mit einer grossen Zahl von Arbeitsgruppen unter einem nicht zu verachtenden Termindruck geleistet wurde beziehungsweise geleistet werden musste.

Im «pfarrblatt»-Gespräch vor drei Jahren sagten Sie, die katholische Kirche bedeute Ihnen Geborgenheit, sie sei ein Zufluchtsort und eine Kraftspenderin. Hat sich aufgrund der Arbeit in den Gremien daran etwas geändert?

Nein, überhaupt nicht, eher noch verstärkt. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass unsere Kirche Halt und Kraft vermitteln kann und muss. Gerade in Zeiten, wie wir sie infolge von Corona durchleben, konnte sich die Kirche als wichtige Institution und Anlaufstelle für Menschen in Not und Bedrängnis zeigen.

Während der Corona-Krise, als keine Gottesdienste stattfinden konnten, war oft zu hören, die Kirchen seien nicht mehr systemrelevant, darum würde sich die Politik nicht um die Gottesdienste kümmern. In den Gesprächen in den letzten Jahren, was haben Sie für Erfahrungen mit der Politik gemacht?

Die Kirchen haben sehr wohl bewiesen, dass sie systemrelevant sind. Aber ihre Anliegen und die ihrer Mitglieder standen sicher nicht zuoberst auf der To-do-Liste der Politiker und der Gesundheitsbehörden. Die Kirchen haben trotz der behördlich verordneten Einschränkungen aufzeigen können, dass sie gebraucht werden, aber auch sehr kreativ mit solchen Problemen umgehen können. Sie konnten schnell und unaufgefordert einen entscheidenden Beitrag zum Wohlergehen der Menschen leisten.Meine Erfahrungen mit der Politik waren sehr positiv.

Die Mehrheit der Politiker von rechts bis links anerkennen heute, dass die Kirchen im Rahmen ihrer gesamtgesellschaftlichen Leistungen einen wichtigen Beitrag leisten und dafür auch zu Recht entschädigt werden sollen. Beeindruckend für mich war auch, wie geschlossen und mit grosser zustimmender Mehrheit der Grosse Rat des Kantons Bern das totalrevidierte Landeskirchengesetz verabschiedet hat.

Gibt es etwas, das richtig gut gelungen ist in den letzten drei Jahren?

Erstens, dass es uns gelungen ist, mit einem Minimum an Leuten ein derart wichtiges Projekt wie «Perspektiven 2020» termingerecht und im vorgegebenen finanziellen Rahmen abzuwickeln und dass wir damit unsere Landeskirche fit für die Zukunft machen konnten.

Zweitens, dass wir für die vom Kanton übernommenen Seelsorgerinnen und Seelsorger dank neu geschaffener Grundlagen ein ebenso verlässlicher und sozialer Arbeitgeber sein können, wie es der Kanton Bern bis Ende 2019 war.

Drittens das gute Verhältnis zu den anderen Landeskirchen. Wir Katholiken und Reformierte sind uns eigentlich näher, als wir manchmal wahrhaben wollen. Natürlich bestehen noch immer Differenzen, doch ich sehe und erkenne je länger je mehr wichtige ökumenische Impulse und Zeichen der Einheit in versöhnter Verschiedenheit.

Was ist nicht gelungen, wo hätten Sie eine andere Lösung gewünscht?

Es ist heute müssig festzustellen, dass dieses und jenes auch anders hätte gelöst werden können. Wir hatten klar festgelegte Legislatur- und Projektziele, und wir haben diese Ziele vollumfänglich erreicht. Politik, auch Kirchenpolitik ist, «das Machbare» zu realisieren, statt sich am «Wünschbaren» zu orientieren.

Künftig geht es darum, dass die Kirchen ihre Leistungen für die ganze Gesellschaft ausweisen müssen. Kann das gelingen, gibt es diese Leistungen?

Das kann und muss gelingen – trotz beträchtlichem administrativem Zusatzaufwand für die Pfarreien und Kirchgemeinden. Dieser Ausweis unserer gesamtgesellschaftlichen Leistungen wird erstmals schwarz auf weiss darstellen, was die Kirchen tagein, tagaus tatsächlich und freiwillig für die Allgemeinheit leisten. Der Kanton anerkennt mit dem neuen Landeskirchengesetz diese Leistungen und ist gewillt, sie zu entschädigen. Wie lange diese Finanzierung durch den Kanton gesichert ist, vermag ich heute nicht zu beurteilen; hoffentlich aber noch sehr lange.

Bei ihrem Antrittsgespräch mit dem «pfarrblatt» vor drei Jahren sprachen Sie davon, dass die angedachte Lösung ein Kompromiss sei. Mit Blick auf die Zukunft: Was muss die katholische Kirche im Kanton Bern Ihrer Meinung nach primär leisten?

Noch einmal, Politik, auch Kirchenpolitik, ist «das Machbare umzusetzen»; das Machbare ist halt meistens auch ein Kompromiss. Der Kanton Bern hat seinerzeit die Vorgaben und die Rahmenbedingungen gesetzt, wir als römisch-katholische Landeskirche haben diese Rahmenbedingungen akzeptiert. Widerstand hätte nichts und schon gar keine besseren Bedingungen gebracht. Der Auftrag der Kirche ändert sich trotz des totalrevidierten Landeskirchengesetzes nicht, weil die römisch-katholische Kirche im Kanton Bern dem christlichen Grundauftrag verpflichtet ist, nämlich die gemeinsamen gottesdienstlichen Feiern (Liturgie), der Dienst am Mitmenschen (Diakonie), die Weitergabe der Reich-Gottes-Botschaft an die Menschen (Verkündigung) sowie die gelebte Gemeinschaft (Koinonia).

In diesen Bereichen setzt die katholische Kirche Bern heute und auch in Zukunft ihre Schwerpunkte, weil sie den Bedürfnissen der Menschen im Kanton entsprechen.

Die reformierte Kirche geniesst im Kanton Bern eine ungleich stärkere Beachtung. War das für Sie manchmal belastend? Wie ist das Verhältnis?

Es ist manchmal gar nicht so schlecht, wenn andere, allein schon aufgrund ihrer Grösse, mehr Beachtung geniessen. Man lässt uns auch eher in Ruhe. Das Verhältnis zur reformierten Landeskirche und zu ihrem Präsidenten war überhaupt nie belastend. Wir alle sind Christen und unserem Grundauftrag verpflichtet. Wir arbeiten im Rahmen der interkonfessionellen Konferenz, das heisst dem Zusammenschluss der reformierten Landeskirche, der christkatholischen Kirche und der jüdischen Gemeinde, sehr gut, konstruktiv und intensiv an der Lösung unserer gemeinsamen Aufgaben und Problemstellungen.

Wo sehen Sie den Wert des Schweizer Kirchensystems, in dem es einerseits die Pfarreien für die Seelsorge, anderseits die Kirchgemeinden für die Finanzen und das Organisatorische gibt?

Ich bin ein absoluter Befürworter des dualen Systems. Aber wie in einem guten Orchester kommt es auch hier auf das Zusammenspiel an. Wichtig für das Gelingen sind ein guter Geist im gesamten Orchester sowie die Rücksichtnahme auf unterschiedliche Stärken, Schwächen, Vorlieben und Bedürfnisse.

Jede Organisation, auch die Kirche, kann in Situationen geraten, in denen sachliche Anliegen und finanzielle Überlegungen zueinander in Spannung stehen. Kommt hinzu, dass die 3Strukturen der katholischen Kirche in der Schweiz eine Besonderheit aufweisen: Die abschliessenden Entscheidungen über den Einsatz der Mittel aus der wichtigsten Einnahmequelle, nämlich aus den Kirchensteuern und Beiträgen der öffentlichen Hand, werden nicht von denselben Instanzen gefällt, die für das pastorale Handeln der Kirche zuständig sind.

Um trotzdem handlungsfähig zu bleiben, muss von den Verantwortlichen der Pastoral und den staatskirchenrechtlichen Behörden immer wieder ein Ausgleich zwischen Sachzielen und finanziellen Realitäten gesucht und geschaffen werden.

Sie sind noch topfit. Sie haben schon bei der Wahl davon gesprochen, bloss übergangsweise diese drei Jahre im Amt zu bleiben. Bereuen Sie das, würden Sie gerne noch etwas weitermachen?

Dieser Abschied aus dem Exekutivamt unserer Landeskirche fällt mir tatsächlich nicht leicht. Vor etwas mehr als drei Jahren habe ich mich als «Übergangspräsidenten» gesehen und auch so erklärt. Heute wäre ich mit einer solchen Aussage eher etwas vorsichtiger. Warum? Man kann ein unerwartetes und nicht gesuchtes Amt auch plötzlich mögen und gernhaben!

Die vergangenen drei Jahre waren für mich eine zwar belastende, aber auch eine der schönsten nebenamtlichen Aufgaben, die ich in meinen vielen ausserberuflichen Tätigkeiten je ausführen durfte. Ich blicke zurück auf viele interessante Begegnungen, tolle Gespräche mit vielen Menschen, den unschätzbaren Rückhalt von Ratskolleginnen und -kollegen und eine stützende und unterstützende Verwaltung, die mir in meiner Funktion als Präsident sehr geholfen haben. Aber noch einmal: Ich trete nun wissentlich, willentlich und wirklich zurück; mir bleiben jedoch viele schöne Erinnerungen.

 


Die Sitzung des Landeskirchenparlaments vom 21. August im Rathaus Bern wird von Wahlen geprägt sein:

Marie-Louise Beyeler ist alleinige Kandidatin für das Präsidium des Landeskirchenrates. Die frisch pensionierte Pastoralraumleiterin (Seeland) und ehemalige Kirchgemeindepräsidentin gilt als Idealbesetzung.
Für die Exekutive stellen sich neu zur Wahl: Sabine Kempf (Lyss), René Löffler-Berchtold (Bönigen) und Barbara von Mérey-Zelller (Courtelary).

Der neue Leistungsvertrag mit der Caritas Bern wird mit Sicherheit ebenfalls zu Reden geben, soll doch der Beitrag massiv gesenkt werden, dies wegen des Wegfalls des kantonalen Asylauftrages.

Die Traktandenliste und weitere Unterlagen zur Sitzung (wegen Corona sind dieses Jahr keine Gäste zur Sitzung zugelassen) des Landeskirchenparlaments vom 21. August finden Sie HIER

 

 

 

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.