Zu Hause bleiben, so lautet die Vorgabe. Bloss – wo ist mein Zuhause? Foto: iStock/brittak

Wo soll ich zu Hause bleiben?

Aki-Kolumne von Julia Hofmanninger

Diese Frage stellte sich mir, als die Schutzmassnahmen des Bundes die Schweizer Bevölkerung zur solidarischen Isolation aufforderten. Um zu erörtern, warum das Zuhausebleiben kompliziert sein kann, muss ich in meiner Biografie etwas ausholen: Meine Eltern liessen sich scheiden, als ich ein Jahr alt war. Dieser Umstand führte dazu, dass ich praktisch schon mein ganzes Leben lang sehr viel reise. Meine Mutter lernte zwei Jahre später ihren jetzigen Ehemann kennen, und sie entschlossen sich, aufs Land zu ziehen. Allerdings verbrachte ich einen signifikanten Teil meiner Wochenenden und Ferien entweder auf Geschäftsreisen durch Europa mit meinem Vater oder mit meiner Patentante. Meine Eltern gründeten beide neue Familien und bekamen Kinder mit ihren neuen Partnern.

Je älter ich wurde, desto mehr Zeit verbrachte ich bei guten Freunden. Nach Abschluss meiner Matura bereiste ich Asien mit meiner besten Freundin und zog anschliessend für mein Studium in eine WG im drei Stunden entfernten Bern. Nach einem Jahr in dieser WG wurde mir jetzt die Aufgabe gestellt: «Bleib zu Hause.» Somit stand ich zum ersten Mal, seit ich ungefähr drei Jahre alt war, vor der Aufgabe, für eine unbestimmte Zeit an ein- und demselben Ort mit den gleichen Familienmitgliedern zu verweilen. Wohin aber sollte ich nun gehen? Die Familie meines Vaters zog sich in unsere Ferienwohnung zurück, und meine Patentante gehört einer Risikogruppe an. Somit war für mich klar, dass ich zur Familie meiner Mutter zurückkehre. Das bedeutet für mich freudige Stunden mit meinen Geschwistern, meiner Katze und unserem Golden Retriever; allerdings heisst dies auch, 7 Tage à 24 Stunden in der Woche mit meinem Stiefvater zu verbringen.

Was ist nun in den gut fünf Wochen passiert? Ich musste einigen persönlichen Konflikten ins Auge schauen, die ich mit meinem steten Reisen bisher umgangen bin. Das Gefühl, in diesen Konflikten gefangen zu sein, war zuerst erdrückend, mich ihnen zu stellen, erwies sich dann jedoch als befreiend. Inzwischen konnte ich dank dieser von aussen auferlegten Konfrontation und Kontemplation Frieden schliessen mit meiner Familiengeschichte und akzeptieren, dass ich an vielen Orten zu Hause bin und dass dies nicht problematisch ist, sondern einfach anders.

Julia Hofmanninger, Praktikantin

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