In der Pandemie sind Familien auf sich alleine gestellt, man kann sich auch weniger aus dem Weg gehen. Foto: iStock

Zoff in der Familie

Gespräch mit der Seeländer Psychologin Silke Schurig

Trotz Lockerungen: Dicke Luft bei Familien – die Konflikte nehmen zu. Welche Chancen Corona auch bietet, erzählt Psychologin Silke Schurig vom Familienpunkt Seeland.

Interview: Marcel Friedli


«pfarrblatt»: Die Pflicht zum Homeoffice besteht weiter. Wie wirkt es sich auf die Familien aus, dass man sich mehr auf der Pelle sitzt?

Silke Schurig: Corona und die damit verbundenen Einschränkungen sind für Familien eine grosse Herausforderung. Das ist für alle mit vielen Unsicherheiten und einer Menge Stress verbunden. Konflikte bleiben da leider nicht aus.

Warum?

Weil Familien zunehmend auf sich alleine gestellt sind. Der Austausch mit anderen ist eher schwierig und sehr begrenzt. Nehmen Sorgen und Stress zu, bleibt der Frust innerhalb der Familie – es kommt zu Spannungen und Streit.

Inwiefern schwemmt die aktuelle Situation latente Konflikte auf?

Vor Corona gab es Möglichkeiten, sich innerhalb der Familie aus dem Weg zu gehen. Man ging ins Fitnesscenter, ging mit Freunden aus, unternahm Reisen. Es gab weniger Familienzeit, so dass man sich weniger mit Konflikten auseinandersetzen musste. Freund*innen konnten Probleme auffangen und die Betroffenen stabilisieren.

Kommt es darum zu mehr Zoff?

Ja. Je länger die Pandemie anhält, desto mehr nehmen Konflikte in den Familien zu.

Nehmen auch verbale und körperliche Gewalt zu?

Da Konflikte zunehmen, steigt auch die verbale Gewalt. Meiner Erfahrung nach nimmt aber die körperliche Gewalt eher nicht zu. Vor allem am Anfang der Pandemie haben Familien weniger Beratungen in Anspruch genommen. In den letzten Monaten ist die Nachfrage jedoch sehr stark gestiegen. Wir werden das genaue Ausmass physischer Gewalt in den kommenden Wochen sehen.

Gibt es Lichtblicke?

Ja. Die jetzige Situation führt auch dazu, dass sich Familien neu finden: Man spricht wieder mehr miteinander. Man nimmt den Alltag der anderen deutlicher wahr – und hat damit die Chance, sich als Familie neu zu ordnen.

Wie kann man Ihrer Ansicht nach das Miteinander gestalten?

Wichtig ist: Uns in Toleranz anderen gegenüber üben. Respekt für andere zeigen und ein neues Miteinander entwickeln. Es ist eine Chance, die Gemeinsamkeit innerhalb der Familie wieder zu erleben. Das wird nicht immer reibungslos gehen. Aber wir können lernen, hin und wieder mit den Augen des anderen zu sehen. Mit den Ohren des anderen zu hören und mit dem Herz des anderen zu fühlen. Dann kann es funktionieren.

 

 

 

Die Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung Silke Schurig leitet die Beratungsstelle Familienpunkt an der Kirchgasse 4 in Lyss.

Familienpunkt ist ein ökumenischer Verein der Kirchen Lyss und Umgebung und wird unter anderem getragen vom Bistum Basel sowie von der katholischen Kirche Seeland.
info@familien-punkt.ch, 032 530 40 29.

Foto: zVg






Tipps für familiäre Harmonie

  • Klare Tagesstrukturen: Struktur beugt Chaos vor und vermittelt Kontrolle und Sicherheit. In einer Familienagenda können Schul- und Bürozeiten, Pflichten im Haushalt, Sport und Freizeit festgehalten werden. Auch Ruhe und Auszeit für alle einplanen. 
  • Abmachungen für Online-Zeiten: Auch wenn es sehr verlockend ist, die Zeit mit Medien zu verbringen, ist es sinnvoll, Abmachungen zu treffen. Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollten nicht länger als dreissig Minuten vor PC und Handy verbringen. Sieben- bis Zehnjährige nicht länger als 45 Minuten, Zehn- bis Zwölfjährige eine Stunde, Teenager ab 14 Jahren zwei Stunden. Zudem ist es ratsam, offline-Zonen zu definieren: zum Beispiel für Mahlzeiten und gemeinsame Unternehmungen. Eltern sind auch da Vorbilder.

  • Gemeinsame Mahlzeiten: Sie sind ein wichtiger Bestandteil im Alltag: Sie bieten fixe Gelegenheiten für den gegenseitigen Austausch und um gemeinsam zu besprechen, wie der Tag gestaltet wird. (mf)

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