«Christus in der Vorhölle», Jan Brueghel, 1593. Bild: Christoph von Viràg, Abegg-Stiftung Riggisberg, 2010, Inv. Nr. 14.119.72

Zwischen Tod und Auferstehung

Eine Bildbetrachtung, die schaudern lässt

«Hinabgestiegen in das Reich des Todes», heisst es im Credo. Wie es dort zu und her geht, zeigt Jan Brueghels Bild «Christus in der Vorhölle» aus dem Jahr 1593. Die Miniatur im Format 25,6 x 34,9 cm ist ein fester Bestandteil in der Abegg-Stiftung in Riggisberg.

Von Sandro Fischli

Das Motiv bezieht sich auf die Zeile im Apostolischen Glaubensbekenntnis «hinabgestiegen in das Reich des Todes» (lat. «descendit ad inferos»), zu den Unteren. Die Wortverwandtschaft zu Inferno, Hölle, ist offensichtlich. Das apokryphe Nikodemus-Evangelium aus dem 4. Jahrhundert geht ausführlich auf diese Fahrt Jesu in die Unterwelt ein und beeinflusste damit Bildgestaltungen bis ins 17. Jahrhundert. Im Gegensatz zu anderen Bildern, die vor allem die Befreiung Adams hervorheben, zeigt Brueghel als einziger wortwörtlich den «Einbruch» in dieses Schattenreich, die Tür wird regelrecht eingetreten. Das ist kein «Macht hoch die Tür», das ist ein Überfall!

Jan Brueghel beruft sich auch auf Bilder aus der griechischen Mythologie: Hades, der König der Unterwelt, der Persephone von der lichten Erde zu sich hinunter entführt, und Orpheus, der Eurydike aus dem Tod zurückholen will. Für die Griechen war die Unterwelt – mit Ausnahmen wie Tantalos oder Sisyphos – kein Ort der Strafe, mehr des Vergessens.

Wartesaal zur Hölle

Brueghel und andere Maler stellen die Vorhölle dar; wie fürchterlich muss da erst die «richtige» Hölle aussehen? Am unteren Bildrand rechts ist eine grosse dunkle Öffnung, die weiter in die Tiefe führt, die Hölle nur andeutet. Die Vorhölle, der Limbus, ist der Ort für die Ungetauften, Kinder, gerechte Juden, Un- oder Andersgläubige mit gottgefälligen Leben. Kein Ort der Strafe, mehr ein grosser «Wartsaal» auf die Erlösung, die anscheinend vor dem Messias «theo-logisch» nicht gegeben war. All diese Vorväter und -mütter aus dem jüdischen Testament strecken in der unteren Bildmitte Christus flehend ihre Arme entgegen.

Brueghel berief sich auch auf die berühmten Höllenbilder von Hieronymus Bosch. Ins Auge fällt vor allem der enorme Kontrast des Lichts, das durch die von Jesus aufgestossene Höllenpforte in das Dunkel fällt. Eine atemberaubende Dramatik. Wir sehen in allen Bildern, die dieses Motiv des Abstiegs in das Reich des Todes aufnehmen, die Siegesfahne mit dem Kreuz, die in der Darstellung Jesu Wirkungsgeschehens vor Brueghels Bild als Symbol nie auftrat. Die Erlösung gilt hier zuallererst den jüdischen Vorvätern und -müttern. Das Judentum kennt schon vor und ohne Messias vergleichbare Vorstellungen: je ein Reich der Gottesnähe und des Friedens und eines der Gottesferne, ein Schmerz der Erkenntnis schlechter Taten, jedoch nicht für immer verloren, denn Reue reinigt die Seele.

Selbst Wiedergeburtsvorstellungen waren dem Judentum nicht fremd. Das berührt östliche Vorstellungen, in denen zwischen Tod und einer nächsten Geburt auch ein furchterregender Bereich, der sogenannte Bardo, durchschritten wird, in dem alle Taten, Motive, Haltungen dem Verstorbenen erscheinen, denen er sich stellen muss.

Erlösung ist möglich

Und was ist nun mit allen anderen ausser den Vorvätern und Vormüttern? Angesichts einer Verheissung von allumfassender Barmherzigkeit? Erstaunlich war für mich zu entdecken, dass es auch im Islam den Glauben gibt, dass Mohammed in die Hölle heruntersteigen kann, um Menschen von dort nach ihrer Verurteilung doch noch zu erlösen.*

Die direkte, nahtlose Verbindung Hölle-Himmel erinnert mich an eine buddhistische Legende: Buddha sieht, wie ein schlimmer Verbrecher in der Hölle leidet. Er hat Mitleid und sucht nach einer einzigen guten Tat in dessen Leben. Buddha sieht, dass dieser Mann einmal eine Spinne nicht zertreten hat, sie gar sorgsam zur Seite trug. Er lässt ihm aus dem Himmel einen Spinnenfaden hinunter, an dem der Mann emporklettern kann. Der Mann hat den Glauben, dass ihn dieser Faden trägt. Als sich hinter ihm viele andere an den Faden hängen, tritt er sie mit den Füssen, aus Angst der Faden reisse. Und genau damit reisst der Faden. Ist auch nur ein kleiner Funke Glaube da, so kann dieser aus der «Hölle» befreien.

Die leuchtende Pforte auf Brueghels Bild beschönigt nicht den Schrecken, die Qual, aber sie öffnet einen Ausweg für alle, ohne Unterscheidung, ohne Bevorzugung. Der Lichtfleck in diesem wüsten, dunklen Ort zieht unseren Blick an, während Christi Blick ganz ins Dunkel gerichtet ist. Weit über diese Momentaufnahme der eingerissenen Pforte hinaus muss er während seiner ganzen Zeit an jenem Ort die Angst und das Leid dort mitempfunden, miterfahren haben, so wie er als Mensch die Qual der Kreuzigung erlitt. So lässt dieses Bild vielleicht etwas erahnen von der unvorstellbaren Zeit bis Ostern.

 

Quelle und Buchtipp: Anna Jolly, Eine Höllenlandschaft von Jan Brueghel d. Ä. 2011, Monographien der Abegg-Stiftung 14.

* Online sind unter den Suchbegriffen «Limbus», «Jenseitsvorstellungen Judentum», «Jenseitsvorstellungen Islam» interessante Hinweise nachzulesen

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