Im Ganzen haben über zwanzig Menschen an der Bibellektüre teilgenommen, mit- und voneinander gelernt und sich inspirieren lassen. (Foto: P. Bernd)

Jesus und der Widerstand

SPANNEND, ANREGEND UND NIE BELEHREND WAR DAS BIBELSEMINAR IM PFARREIZENTRUM BRUDER KLAUS.

Spannend, anregend und nie belehrend war das Bibelseminar im Pfarreizentrum Bruder Klaus

Nach dem Zuspruch, den die materialistische Bibellektüre mit Kuno Füssel im Februar 2023 erfahren hat, hat der Theologe wieder zugesagt, mit interessierten Menschen mit dieser Methode ausgewählte Texte des Evangeliums nach Johannes zu lesen. Diesmal beschäftigten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen neben dem berühmten Anfang vor allem mit der Passionsgeschichte (Kapitel 18 und 19).
Die materialistische Bibellektüre ist eine Form der biblischen Auslegung, welche diese Texte auf dem Hintergrund ihrer ökonomischen, politischen, sozialen und religiösen Einbindung wahrnimmt und interpretiert. Es wird davon ausgegangen, dass es keine neutrale Lektüre gibt, weil der Standpunkt der Leser und Leserinnen immer zur Geltung kommt. Gleichzeitig wird auch der biblische Text selber nicht als neutrale Quelle betrachtet.

Spannend in diesem Zusammenhang war der Vergleich zwischen den unterschiedlichen Bibelausgaben, welche die Seminarteilnehmer/innen mitbrachten. So erwies sich eine französischsprachige Bibel bei manchen Textstellen als präziser und näher am griechischsprachigen Original als die deutschsprachigen. Letztere wiederum präsentierten sich als bunter Strauss unterschiedlichster Güte von Übersetzungen. Manche Formulierungen hatten etwas Manipulatorisches, etwa wenn Jesus während dem Gerichtsprozess entweder als Verbrecher oder als Übeltäter bezeichnet wird; oder unter dem Kreuz statt einer Schwester, plötzlich die Tochter eines namentlich bezeichneten Mannes steht.

Allerdings ging es an den zwei Tagen nicht darum, diese Verschiedenartigkeit zu beurteilen, sondern eher den Reichtum der verschiedenen Übersetzungen kennen und schätzen zu lernen. In Gruppengesprächen diskutierten die Frauen und Männer zu zwei Fragestellungen: Welche Fragen habe ich an den Text? Welche Fragen stellt der Text an mich! Herausforderung an uns/Gemeinde? Im Plenum wurden die Diskussionsergebnisse vorgestellt und anschliessend von Kuno Füssel kommentiert. Dabei erwies sich der Dozent als grosser Bewunderer des Johannesevangeliums:»Das ist ein genialer Text. Er ist sehr komplex aufgebaut, aber zielorientiert konstruiert.» Je länger er sich mit dem Text beschäftige, desto mehr entdecke er. Ein guter Text zeige sich darin, dass die Interpretation nie zu Ende ist. Deshalb liess er auch viele Deutungen durch die Seminarteilnehmer/Innen zu, ohne die Richtigkeit seiner eigenen Darstellung zu betonen.

Gerade mit Textstellen der Passionsgeschichte im Johannesevangelium wurde in der Geschichte immer wieder der Antijudaismus befeuert. Im Seminar konnte aufgezeigt werden, dass im Evangelium selber nie von «den Juden» die Rede ist, sondern von einer bestimmten Gruppe (Hohepriestern), die aus Machtgründen die Hinrichtung von Jesus vorantrieben. Von einer «Schuld» eines ganzen Volkes ist nie die Rede.

Von den Begriffen, die engagiert debattiert wurden, sei hier das Thema «Widerstand» herausgegriffen. Bei seiner Festnahme ermahnt Jesus den Apostel Simon Petrus, nicht gewalttätig Widerstand zu leisten. Wie stehen wir selber zur Gewalt bei gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die wir verurteilen und denen gegenüber wir uns als machtlos erfahren? In welcher Form und wann sind wir als Christen aufgerufen, Einspruch zu erheben? Der moralische Anspruch von Jesus ist im Johannesevangelium zu lesen. Die Frage, wie der einzelne Mensch diesem Aufruf genügen kann, beantwortet aber keine Bibelexegese, sondern zeigt sich im konkreten Alltagsleben.

Niklaus Baschung

 

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.