Fünf Mönche des Kloster Einsiedeln besuchen die Tulipan-Moschee in Reinach. Sie sind vor allem von der Gastfreundschaft beeindruckt.
von Sylvia Stam
«Auch ihr seid Muslime, denn ihr seid ebenfalls Gläubige», sagt Muharem Berzati. Er führt an diesem Nachmittag fünf Mönche des Klosters Einsiedeln durch die Tulipan-Moschee in Reinach AG. Mit seiner Aussage nimmt er Bezug auf die Bedeutung des Worts «Muslim», nämlich «Ergebener Gottes».
Die Tulipan-Moschee der Albanisch-Islamischen Gemeinschaft in Reinach ist die grösste Schweizer Moschee, sie wurde vor zwei Jahren eröffnet. Mit sichtlichem Stolz führt Berzati, Projektleiter des Baus, durch das filigrane Betongebäude. Im grossen Gebetsraum der Männer, der mit rotem Samtteppich ausgelegt ist, erklärt er die Ausrichtung des Gebäudes nach Mekka, zeigt auf die Kalligraphien an der Decke, welche die wichtigsten der 99 Namen Allahs zeigen. Jene an den Wänden zeigen die Namen von Engeln und Propheten, darunter auch Jesus.
Trennung von Männern und Frauen
An der Führung und am Austausch mit den Mönchen beteiligt sind weitere Vertreter der Albanisch-muslimischen Gemeinschaft in Reinach, darunter ihr Imam Halil Ademi sowie die Imame Azir Aziri (Thun), Nimetulla Veseli (Schaffhausen) und Mehas Alija (St. Gallen), der auch als Präsident des Dachverbands der Albanisch-Islamischen Gemeinschaften in der Schweiz (DAIGS) fungiert.
Beim vorangegangenen Mittagessen im moschee-eigenen Restaurant diskutierten die Männer eifrig über Fastenregelungen in den beiden Religionen. Die Muslime zeigen sich beeindruckt von der Tatsache, dass die Mönche zugunsten eines Lebens für Gott auf eine Partnerin und auf Kinder verzichten. Und sie erzählen ihrerseits von den Kontakten, welche die albanisch-islamische Gemeinschaft zu verschiedenen christlichen Kirchen, auch Freikirchen, in der Region geknüpft hat. Schweigend haben die Mönche anschliessend dem Mittagsgebet der Muslime beigewohnt.
«Bei uns sind die Frauen frömmer als die Männer. Sind hier eher die Männer fromm?», fragt Pater Philipp bei der Führung durch die Moschee, die auch durch den Gebetsraum der Frauen auf der Empore führt. «Das ist eher eine Frage der freien Zeit als des Geschlechts», entgegnet Berzati. Die Trennung von Männern und Frauen während des Gebets begründet er mit den Körperbewegungen, welche Teil des rituellen islamischen Gebets sind.
«Gibt es auch Bücher für die Gebete?», fragt Pater Jean-Sébastien, als die christlichen Gäste durch die Bibliothek im Haus geführt werden. «Im Gebet widmet man sich ganz Gott», erläutert Berzati. «Darum werden die Gebete auswendig rezitiert». Abduselam Halilovic, stellvertretender Geschäftsleiter der Muslimischen Seelsorge Zürich, präzisiert: «Im Ritualgebet, dem Sie vorhin beigewohnt haben, werden ausschliesslich Koranverse rezitiert. Im individuellen Bittgebet hingegen kann jeder eigene Worte in seiner Sprache formulieren».
Islamische Traditionen bei Neugeborenen
Im Raum für den Islam- und Koranunterricht, dem Kinder beiden Geschlechts beiwohnen, kommt die Frage auf, ob es im Glaubensleben von muslimischen Kindern auch Stationen gibt, die der katholischen Taufe, Erstkommunion oder Firmung vergleichbar sind. «Wenn ein Kind in einer muslimischen Familie geboren wird, gehen wir davon aus, dass es als Muslim:in geboren wurde. Nach der Geburt gibt es einige islamische Traditionen bezüglich des neugeborenen Kindes», sagt der St. Galler Imam Mehas Alija. Berzati fügt an, dass es den Brauch gebe, einem Neugeborenen den eigenen Namen und den Satz «Gott ist gross» (arabisch: Allahu akbar) ins Ohr zu flüstern. Eigentliche Initiationsriten gebe es nicht, so Halilovic, aber ab der Pubertät seien Musliminnen und Muslime verpflichtet, die islamischen Rituale zu verrichten.
Im Anschluss an die Führung gibt Pater Cyrill einen kurzen Einblick in das christliche Verständnis des Begriffs «Seelsorge». Im Gegenzug erklärt Abduselam Halilovic, dass dieser Begriff in der islamischen Tradition nicht sehr geläufig sei, jedoch «in Arbeit» sei. In der Schweiz bestehe ein grosser Bedarf an muslimischer Seelsorge, etwa in Spitälern und Gefängnissen. Daher sei der Verein Quams gegründet worden, um in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft deren Qualität zu gewährleisten.
Begegnung mit Menschen
Die Einsiedler Mönche sind vor allem von der Gastfreundschaft beeindruckt: «Die Freundlichkeit der Gastgeber», nennt Pater Philipp, aber auch die «Schönheit des Ortes». Auch Pater Jean-Sébastien gefällt die Schlichtheit der Architektur. «Ich kann mit Barock nicht soviel anfangen», gesteht er lachend gegenüber dem «pfarrblatt». Die Begegnung «mit Menschen, die Gott suchen» sei immer bereichernd. Pater Cyrill erwähnt auch das aktive Bemühen der Muslime, mit Christ:innen aus der Region in Kontakt zu kommen. Über das genaue Verständnis von Seelsorge hätte er gerne noch mehr erfahren, doch dafür war in diesem Rahmen kein Raum mehr.
Organisiert wurde Austausch wurde von Azir Aziri, Imam der IKRE-Moschee in Thun, sowie Hans W. Weber, christlicher Beauftragter für den religiösen und interkulturellen Austausch derselben Moschee. Im Oktober letzten Jahres hatten 14 Imame aus der ganzen Schweiz das Kloster Einsiedeln besucht.