Die Theologin Béatrice Acklin Zimmermann ist für den Frontex-Ausbau. Sie begrüsst gleichzeitig die «vitale Streitkultur der Kirchen». Foto: zVg

«Den Kopf nicht in den Sand stecken, wenn es brenzlig wird»

Die Theologin Béatrice Ackling sagt ja zum Frontex-Ausbau.

Die Theologin Béatrice Acklin-Zimmermann* spricht sich für den Ausbau der Schweizer Beteiligung an der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex aus, trotz deren fragwürdigen Praktiken. In der Realpolitik seien moralisch saubere Lösungen selten zu haben. Das kirchliche Nein-Komitee aber begrüsst sie.

Interview: Andreas Krummenacher

«pfarrblatt»: Wie stehen Sie zu Frontex und zur Schweizer Beteiligung daran?

Béatrice Acklin Zimmermann: Es steht ausser Zweifel, dass Frontex einer grundlegenden Reform bedarf. Damit die Grenzschutzorganisation verbessert werden kann, braucht es aber mehr Ressourcen, sowohl was Finanzen wie auch Personal betrifft. Ich vertrete den Standpunkt, dass es nicht angeht, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn es brenzlig wird. Als ein Land mit einer ausgeprägten humanitären Tradition sollte die Schweiz vielmehr bei der zukünftigen Ausrichtung der Grenzschutzorganisation mitbestimmen und darauf hinwirken, dass Frontex die ihr zugedachten, anspruchsvollen Aufgaben verantwortungsvoll wahrnimmt.

Frontex hat Flüchtlinge an der EU-Aussengrenze zurückgedrängt. Diese sogenannten Pushbacks sind dokumentiert. Auch für Sie ein Skandal?

Selbstverständlich sind solche Vorkommnisse inakzeptabel, ganz abgesehen davon, dass Pushbacks schlechthin widerrechtlich sind. Auch die Beobachtung, dass Frontex-Mitarbeitende oftmals aus Überforderung gehandelt haben, entschuldigt solche Vergehen in keiner Weise. Gerade deshalb sollte sich die Schweiz aktiv einbringen und alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, die eine respektvolle Sicherung der Aussengrenzen ermöglichen. Mir konnte noch niemand erklären, weshalb es bei einer Ablehnung der Vorlage den Flüchtlingen besser gehen sollte. Im Gegenteil: Wenn wir uns aus der Verantwortung stehlen, überlassen wir die künftige Ausrichtung des Grenzschutzes ganz den anderen Staaten, zu denen leider auch solche mit totalitären Tendenzen gehören.

Die katholische Kirche kennt keine Grenzen. Was also ist christlich an Schengen – oder anders gefragt: Gibt es tatsächlich ethische Argumente für Frontex?

Ich staune jeweils, wenn sich Vertreter:innen der katholischen Kirche politisch für offene Grenzen starkmachen, aber dann, wenn es etwa um ökumenische Gastfreundschaft geht, sofort Mauern hochziehen und für klare Grenzen eintreten. – Ein verminderter oder gänzlich aufgehobener Grenzschutz an den europäischen Aussengrenzen wäre nicht nur in politischer, sondern auch in ethischer Hinsicht fragwürdig: Insofern nämlich, als dadurch bei Menschen, die keinerlei Anspruch auf Asyl in Europa haben, falsche Hoffnungen geschürt und sie dazu verleitet würden, eine nutzlose und lebensgefährliche Reise in Angriff zu nehmen.

Sie befürchten eine Sogwirkung?

Eine Politik der offenen oder nur ungenügend kontrollierten Grenzen würde eine enorme Sogwirkung auf viele in wirtschaftlich prekären Verhältnissen lebenden Menschen auf der ganzen Welt haben, irreguläre Migration fördern und Schlepperorganisationen in die Hände spielen. Ausserdem weiss ich aus meiner langjährigen politischen Erfahrung, dass ein Staat, der die Kontrolle über die Grenzsicherung und Begrenzung des Zustroms von Flüchtlingen aus der Hand gibt, kein Sozialstaat mehr sein und den von ihm aufgenommenen Asylant:innen nicht mehr die erforderliche Infrastruktur bieten könnte, weil die unbegrenzte Zuwanderung unbegrenzte Ausgaben ohne entsprechende Einnahmen nach sich ziehen würde.


Christian Walti vom kirchlichen Komitee «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» sieht das im «pfarrblatt»-Gespräch anders. Finden Sie es störend, dass es ein kirchliches Komitee gegen Frontex gibt?

Ganz und gar nicht, im Gegenteil: Erstens begrüsse ich es, dass die politische Auseinander­setzung dadurch mit zusätzlichen Argumenten angereichert wird. Zweitens mache ich mich – gerade mit Blick auf die theologische Tradition – stark für eine vitale Streitkultur der Kirchen. Anders als Parteien oder Wirtschaftsverbände zeichnen sich die Kirchen ja gerade dadurch aus, dass ihr Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Einstellungen angehören. Das Band, das diese Menschen vereint, ist der gemeinsame Glaube und nicht die politische Überzeugung. Problematisch würde es allerdings, wenn das Kirchen-Komitee gegen Frontex sich auf den Standpunkt stellen würde, seine Position sei die aus christlicher Sicht einzig verantwortbare Position. Auch bei der Frontex-Abstimmung gilt, was in etwa 98 % der Abstimmungen der Fall ist: Man kann in Treu und Glauben für oder gegen eine Vorlage stimmen, ohne dass man deshalb eine bessere oder schlechtere dem Christentum zugehörige Person wäre.

Darf man sich theologisch die Hände schmutzig machen, und wo sind die Grenzen?

Theologisch gesehen ist jeder Mensch in Schuldzusammenhänge verstrickt. Zu meinen, man könne dem entgehen und sich eine weisse Weste bewahren, würde an Selbstüberschätzung oder Hybris grenzen, wie es in der Theologie heisst. Auch in der Realpolitik sind eindeutige, moralisch saubere Lösungen, wie sie die moralisierte Öffentlichkeit fordert, selten zu haben. Deshalb muss man oft eine Güterabwägung zwischen zwei weniger schlechten Möglichkeiten vornehmen, bei der man sich notgedrungen die Hände schmutzig macht.


* Béatrice Acklin Zimmermann ist habilitierte Theologin und Geschäftsführerin des Thinktank Liberethica.
 

Hinweis: Der reformierte Berner Pfarrer engagiert sich im Komitee «Kirchen gegen Frontex».

Die Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex unterstützt die Schengen-Staaten bei der Kontrolle der EU-Aussengrenzen. Die Schweiz gehört zum Schengen-Raum, seit 2011 mit Beteiligung an Frontex. Am 15. Mai wird in einer Abstimmung darüber entschieden, ob die Schweiz ihren Beitrag von bislang 24 auf 61 Millionen Franken erhöhen soll.

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