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Corona-Zeichen der Zeit: ein Kairos für die Kirche?

Lernen aus der Krise für eine zukünftige Kirche

Corona: Pandemie: weltweit. Alle sind betroffen. Globalisierter Corona. Globalisierter Kampf gegen das Virus.

Bis anhin sprachen wir oft von positiver Globalisierung. Die Welt wurde zum Dorf. Doch nun stösst diese Globalisierung auf ihre Grenzen. Der globale Wettbewerb auf dem Weltmarkt zeigt, dass nicht mehr alles möglich ist, dass das Gleichgewicht weltweit gefährdet wird.

Die Katholische Kirche ist eine der ältesten globalisierten Institutionen der Welt. Auch deshalb kann und soll die Kirche an einem neuen Gleichgewicht der Nationen, der Wirtschaften und Machteinflüsse konkret mitwirken, indem sie ethische Ansätze vorschlägt und auch lebt.

Die Kirche kann aber auch für sich aus dieser Krise etwas lernen. Die Ortskirchen leeren sich seit Jahrzehnten immer mehr. Man sagt, die Säkularisierung sei schuld. Zu einfach! Vielleicht ist die Struktur der Kirche und ihre Art das Evangelium zu leben auch daran schuld. Oft denkt man, die Leute müssen wieder zurückfinden in die Kirchen; man muss sie immer wieder einladen …

Aber: Die Kirche soll zu den Menschen hingehen. Auf die Bedürfnisse der Menschen hören.

Das Coronavirus hat die Kirchen ganz geleert. Es entstehen digitale Substitute. Messen werden online gefeiert. Ein Priester ganz allein hinter dem Altar. Die Menschen in ihrer Stube. Ok. Aber diese Krise schenkt auch neue kirchliche Erfahrungen: Wir verlassen die sichtbare Kirche und entdecken die unsichtbare Kirche, die Communio aller Menschen, die an Christus glauben, die guten Willens sind. Diese unsichtbare Kirche ist die mystische Kirche, so wie es der Heilige Paulus sagt: Alle sind Glieder eines Körpers und das Haupt ist Christus. Eine einfache Struktur, dem Kern des Evangeliums nahe.

Unsere Kirche entwickelt sich in dieser Krisenzeit neu. Menschen werden zu Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Sie kümmern sich um die Nachbarn, um die Senior*innen, um die Alleinstehenden. Gerade das ist gelebte Kirche. Christus suchte immer die Menschen am Rande der Gesellschaft.

Unsere Kirche entwickelt sich neu, indem Christ*innen Gottesdienste daheim feiern, das Evangelium lesen, meditieren, beten: da, wo zwei oder drei versammelt sind, ist Christus dabei. Das ist auch Kirche. Jede Person findet in ihrer eigenen Taufe die Berufung, Seelsorger*in für den anderen zu sein.

Unsere Kirche entwickelt sich neu, weil Menschen Gott suchen, seine Kraft suchen, auf ihn vertrauen wollen, weil sie Antworten suchen. Gott ist nicht verantwortlich für das Coronavirus, aber Gott schenkt Kraft, Zuversicht und ist den Menschen nahe. Da entstehen mystische, dynamische Kräfte. Gerade diese braucht heute die Kirche, um sich neu zu entfalten oder gar zu reformieren.

Ist nicht gerade da ein Ansatz für die Zukunft der Katholischen Kirche, aber auch der anderen Kirchen und Religionen? Am Ostermorgen erkennen wir Jesus zuerst gar nicht. Er ist verändert. Das Licht der Auferstehung blendet uns. Er ist bereits weg, nach Galiläa. Dort wartet er auf uns. Gott will aus dem Grab raus, er will zu den Menschen. Auch wir müssen raus zu den Menschen, unsere oft veralteten Strukturen der Kirche verlassen, um Jesus dort zu folgen, wo die Menschen Sehnsucht nach Gott haben. Früher hatte man Menschen, die an Gott glaubten, und Menschen, die nicht an ihn glaubten – praktisch zwei Gruppen.

Heute haben wir viele Menschen, die einfach nach Antworten suchen. Alle diese sind in Galiläa. Wir müssen dorthin, dort, wo Menschen mit Fragen, Sehnsüchten und offenen Wunden auf uns warten, dass wir ihre Wunden verbinden, mit unserer Nächstenliebe. Dazu braucht es keine Strukturen, Verordnungen und Regeln, sondern nur das Gesetz der Nächstenliebe. Und gerade auch wir haben Wunden und werden uns behandeln lassen. Kirche ist immer interaktiv. Nicht von oben nach unten, sondern miteinander.

Thomas glaubte nicht, dass Jesus durch Wände und verschlossene Türen ging. Er wollte die Wunden Jesu berühren. Auch wir sollen die Wunden der Menschen berühren und Kirche bei den Ärmsten, den Suchenden, den Kranken, den Sterbenden, den Einsamen sein. Dann erfahren wir selbst Kirche, weil wir ein Teil davon sind.

Das ist auch Kirche. Hoffentlich werden wir aus dieser Corona-Krise lernen, dass die Kirche nicht die leeren Gebäude wieder prioritär füllen soll, sondern, dass die Kirche ihre Aufgabe neu definieren muss. Eine neue Definition der Ämter, der Strukturen, besonders der Machtstrukturen in der Kirche werden erst dann möglich, wenn wir auf den Kern unseres Glaubens zurückfinden, nämlich Jesus, der uns vorangeht und uns den Weg nach Galiläa zeigt. Das gelebte Evangelium, in seinem Kern.

Jesus hatte den Mut für Neues. Er schenkt uns Kraft für Neues. Haben wir keine Angst, tiefgreifende synodale Prozesse zu entwickeln. Dadurch kann die Kirche wieder glaubwürdiger werden. Auch das ist Ostern, die Auferstehung Christi in einer Kirche, die die Zeichen der Zeit erkennt.

Nicolas Betticher, Pfarrer in Bruder Klaus Bern

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