Gemeinschaft wird im Bergclub bis heute gepflegt. Foto: zVg

«Der Bergclub war auch ein katholisches Heiratsinstitut»

75 Jahre Bergclub Bern

«Keine Sonntagstour ohne Gottesdienst» - Dieses Motto stand am Anfang der «Katholischen Tourengesellschaft Katourg». Der Verein heisst heute «Bergclub Bern» und wird 75 Jahre alt.

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Der Bergclub Bern entstand aus dem Bedürfnis, die Pflicht zur Sonntagsmesse mit Bergtouren zu verbinden. Wie muss ich mir so eine Bergmesse vorstellen?

Rudolf Michlig*: Auf die Bergtour kam jeweils ein Geistlicher mit. Die Leute haben das Zubehör, etwa Kelch, Wein und Hostien, mitgetragen. Unterwegs haben wir dann zusammen Eucharistie gefeiert.

Der Priester im Messgewand?

In den Anfangszeiten im Messgewand. Als ich dabei war, trug der Priester eine Stola über der Wanderkleidung. Wir haben eine Steinplatte zum Altar umfunktioniert. Bis ins Jahr 2000 waren solche Messen sehr beliebt.

Warum werden heute keine Bergmessen mehr gefeiert?

Damals wurden Messen in den Pfarreien nur am Sonntagmorgen gefeiert, heute auch am Samstag- und Sonntagabend. Die Wahl zwischen «Sonntagspflicht» und Bergtour ist damit entschärft. Ausserdem möchten wir niemanden ausschliessen, der/die nicht katholisch ist.

Frauen konnten von Anfang an Mitglied sein. Ging es auch darum, katholische Partner*innen kennenzulernen?  

Bergsteigen war lange eine Männerdomäne, auch bei der «Katourg». Männer, die aus katholischen Gegenden nach Bern in die Diaspora zogen, wohnten meistens im Gesellenhaus. Am Wochenende haben sie dann gemeinsame Bergtouren unternommen. Weil der Verein auch Frauen aufnahm, war er durchaus auch ein katholisches Heiratsinstitut. (lacht) Viele Paare haben hier zueinander gefunden. 

Wie katholisch ist der Bergclub heute noch?

Das Katholische steht nicht mehr im Vordergrund, konfessionell sind wir durchmischt, jedoch noch christlich geprägt. Wie gläubig die Leute sind, weiss ich nicht, darüber reden wir nicht.

Gemäss Statuten folgt der Bergclub den Grundsätzen der christlichen Ethik. Wie zeigt sich das im Wanderleben konkret?

Die Grundidee, dass man sich gegenseitig hilft, ist geblieben. Gemeinschaftssinn und Solidarität werden sehr gepflegt. Eine Frau sagte kürzlich, sie komme gern mit, «weil ich sicher bin, dass man zu mir schaut, wenn etwas passiert.»

Was unterscheidet den Bergclub von den Berner Wanderwegen?

Wir sind kleiner, darum kennt man einander. Dieses vertraute Zusammensein bietet Heimat. Die Berner Wanderwege oder der SAC sind viel grösser.

Heute ist pilgern sehr in. Wäre das nicht in interessantes Segment für einen Bergclub mit katholischen Wurzeln?

Bis 2002 liefen wir in den Wanderwochen von Gipfel zu Gipfel, von Hütte zu Hütte. Heute sind die aktiven Wanderer*innen zwischen 60 und 80 Jahre alt. In diesem Alter steigt das Bedürfnis nach Komfort und Einzelzimmern.

Welche Erlebnisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Auf einer hochalpinen Skitourenwoche bekam ich die Höhenkrankheit. Auf 4000 Metern kann diese tödlich sein. Ich bekam sehr starke Kopfschmerzen und musste mit dem Helikopter abgeholt werden. Doch zum Glück war es nur ein Lungenödem. Unvergesslich sind mir auch die mehrtägigen Skitouren, die ich auf dem Simplon durchgeführt habe. Ich habe hier eine Hütte geerbt, die ich so umgebaut habe, dass ein Massenlager Platz hat.


  

 «Viele Mitglieder sind über das «pfarrblatt» zu uns gekommen», sagt Rudolf Michlig. Foto: Carmen Jossen Moser


Wird es den Bergclub in 20 Jahren noch geben?

Das ist schwer zu sagen. Wir bilden die Leitenden gut aus und motivieren sie, im Verein eine Aufgabe zu übernehmen. Aber die Gesellschaft verändert sich, viele machen lieber individuell etwas.  

Die Altersstruktur sieht nicht so schlecht aus. Sie haben 35 Mitglieder unter 50 Jahren.

Ja, in der Sektion «Bergclub alpin» haben wir gute Tourenleiter*innen, die die Hochgebirgs- und Skitouren weiterentwickeln wollen. Denn wenn der SAC eine Skitour ausschreibt, ist diese innerhalb kurzer Zeit ausgebucht. Wenn es uns gelingt, wieder mehr Leute für solche alpinen Touren zu rekrutieren, haben wir eine Zukunft.

Am Anfang des Bergclubs stand ein Aufruf im Berner «pfarrblatt». Welche Rolle spielt das «pfarrblatt» heute für den Bergclub?

Viele Mitglieder sind über das «pfarrblatt» zu uns gekommen, das bis heute alle zwei Wochen unsere Wanderungen publiziert. Die Leute sagen mir oft: «Ich habe im «pfarrblatt» gesehen, dass du diese Wanderung machst.» Das ist für uns sehr wichtig, und dafür sind wir sehr dankbar.

*Rudolf Michlig (75) ist seit 1991 beim Bergclub, von 2015 bis 2019 war er Tourenchef, seit 2020 Präsident. Der Ingenieur-Agronom aus dem Wallis war 35 Jahre beim Bundesamt für Landwirtschaft tätig. Er wohnt in Ostermundigen.

Hinweis: Der Bergclub feiert sein 75-Jahr-Jubiläum am 6. November, um 15.00 Uhr im kirchlichen Zentrum Guthirt, Ostermundigen. Anmeldungen bis 31. 10. an christine_widmer@gmx.ch

Geschichten aus dem Bergclub

Die Katholische Tourengesellschaft «Katourg» wurde 1946 gegründet mit dem Ziel, Bergsport und Gottesdienstbesuch zu verbinden: Priester kamen auf die Tour mit und feierten unterwegs mit den Wandernden die Messe. Seit 2000 heisst der Verein «Bergclub Bern». Der Schwerpunkt hat sich von Ski- und hochalpinen Touren zu Wanderungen und Bergtouren verlagert. Der Verein ist für alle offen und hat heute knapp 300 Mitglieder. bergclub.ch

 

 

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.