Seit 1896 wirken die Ingenbohler Schwestern im Berner «Viktoria». Nun werden sie das Alterszentrum verlassen. Oberin Johannes Maria Amrein* ist mit 74 Jahren die jüngste der fünfköpfigen Gemeinschaft – ein Abschiedsinterview.
Interview: Anouk Hiedl / Fotos: Pia Neuenschwander
«pfarrblatt»:Wie haben Sie als Verantwortliche der Ingenbohler Schwesterngemeinschaft in Bern das Coronajahr erlebt?
Sr. Johannes Maria: Nach vier erlebnisreichen Jahren im Alterszentrum Viktoria, wo viele junge Leute Betagte begleiten und pflegen, habe ich 2020 anders und eindrücklich erlebt. Ich staunte, dass sich so schnell so vieles auf den Kopf stellen lässt. Es folgte eine grosse Verunsicherung und die Sorge, wir Schwestern könnten das Virus unvorsichtigerweise ins Haus bringen.
«Bleiben Sie zu Hause» war für mich keine grosse Einschränkung, denn ich konnte die Zeit mit Lesen, Stricken und Puzzlen geniessen. Auch die Gottesdienste via TV und Internet sowie das persönliche Gebet habe ich als Geschenk erfahren. Aber die täglichen unbeschwerten Begegnungen mit den Bewohner*innen des Alterszentrums fehlten mir, und die Gebets- und Mahlzeiten mit Schutzvorschriften erlebte ich als anspruchsvoll. Dabei konnte jedoch eine neue Sensibilität entstehen. Man kann einander mit Distanz anders näherkommen.
Sr. Herwig Friedl, Sr. Johannes Maria Amrein, Sr. Marie Stella Rölli, Sr. Irene Meyer, (v.l.n.r.). Nicht im Bild: Sr. Regina Roos.
Foto: Pia Neuenschwander
Seit 125 Jahren wirken Ingenbohler Schwestern im Berner «Viktoria». Nun werden Sie das Haus bis Ende Juli verlassen – und eine Ära geht zu Ende. Warum?
Die Provinzleitung hat das Alterszentrum Viktoria auf Ende 2020 verkauft. Sr. Tobia, unsere Provinzoberin, kam Ende September nach Bern und hat uns sehr einfühlsam darüber informiert. Sie hat uns auch die gute Nachricht gebracht, dass die Leitung des Tertianums uns gerne noch länger im Haus sehen würde und dass wir somit nicht bis Ende Dezember ausziehen müssten.
Letzten Februar haben wir erfahren, dass die Provinzleitung die Auflösung der Gemeinschaft für 2021 vorsieht. Sie begründete dies mit unserem Alter und der Bündelung der Kräfte in unseren Schwesterngemeinschaften. Dieser Entscheid ist verständlich und war, nüchtern betrachtet, voraussehbar.
Was löst der Wegzug bei Ihnen aus?
Das ist für jede von uns anders und reicht von Erleichterung bis zu schmerzlichem Abschied. Ein Entscheid von anderen kann auch beides sein, wenn die eigene Kraft dazu nicht mehr reicht. Ich bin sehr gerne hier und bei den betagten Menschen und habe als Ordensschwester von allen Mitarbeitenden viel Wertschätzung erfahren. Deshalb gehe ich nicht gerne weg. Ich habe aber vor vielen Jahren Verfügbarkeit versprochen und erfahren, geführt und getragen zu sein.
Was passiert mit der Kapelle und mit dem Papstzimmer?
In der Kapelle werden weiterhin Gottesdienste gefeiert. Der grosse, schöne Raum eignet sich auch für Konzerte, kulturelle Anlässe und grosse Infoveranstaltungen. Deshalb ist die Kapelle auch in der aktuellen Zeit mit Abstandsregeln begehrt. Das Zimmer, in dem Papst Johannes Paul ll. 2004 einmal übernachtet hat, befindet sich auf der Etage für Kurzzeitgäste und wird immer wieder mit besonderer Freude bewohnt.
Wo gehen Sie nun hin?
Vier von uns ziehen zurück ins Kloster Ingenbohl. Ich kann meine Kraft im Elisabethenheim Bleichenberg bei Solothurn einsetzen. Nach den guten Erfahrungen im Alterszentrum Viktoria freue ich mich darauf.
Zum Nachlesen:
Ingenbohler Schwestern verkaufen das Berner «Viktoria». «pfarrblatt», 30.09.2020
* Sr. Johannes Maria Amrein trat während ihrer Ausbildung zur Lehrerin ins Kloster Ingenbohl ein. An der Primarschule in Seewen SZ entdeckte sie ihre Begeisterung für die Unterstufe. Sie unterrichtete daraufhin in St. Antoni FR, Engelberg OW, Attinghausen UR und Gersau SZ. Nach ihrer Pensionierung kümmerte sie sich vier Jahre lang um die Gäste des Ferienhauses «Heiligkreuz» im Entlebuch des Klosters Ingenbohl. 2015 wurde sie Oberin der Schwesterngemeinschaft im Berner Alterszentrum Viktoria. Es bleibt für sie eine Herzensaufgabe, Betagte bis zu ihrem Lebensende zu begleiten.