In Schieflage: Die Aussagen von Kardinal Grech kamen nicht bei allen Zuhörenden gut an. Foto: Stefan Maurer

Von Ernüchterung bis Trauer

Reaktionen auf die Rede von Kardinal Mario Grech

Am Dienstag weilte Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der weltweiten Bischofssynode, in Bern. Seine Rede löste unterschiedliche Reaktionen aus. Das «pfarrblatt» hat verschiedenen Teilnehmenden jeweils die gleichen Fragen gestellt.

Interviews: Sylvia Stam, Fotos: Stefan Maurer

Marie-Louise Beyeler und Urban Federer*

Was nehmen Sie mit aus der Rede von Kardinal Grech?

Marie-Louise Beyeler: Ich nehme aus seiner Rede mit, dass Evangelisierung, das Neu-Beleben des Glaubens aus der Synode Kardinal Grech ein grosses Anliegen ist.

Abt Urban Federer: Das Wichtigste ist für mich, dass wir hier zusammengekommen sind. Dazu ist Kardinal Grech der Anlass. Inhaltlich war seine Rede für mich nicht neu, aber es war schön, sie von ihm im O-Ton zu hören.

Er sprach von Mission und Evangelisation. Wie bringen Sie das mit Synodalität in Verbindung?

Beyeler: Für jeden Schritt, den wir in diesem Prozess machen, ist es unabdingbar wichtig, dass wir den Blick auf das Zentrum nicht verlieren. Das Zentrum dieser Kirche ist Jesus Christus, unser gelebter Glaube.

Federer: Jesus gibt einen Missionsauftrag: «Geht in die ganze Welt». Dann sagt er zuerst: «Und macht alle zu meinen Jüngerinnen und Jüngern». Er spricht zuerst die Beziehungsebene an, erst dann sagt er: «und tauft sie». Die Synodalität braucht und fördert auch diese Beziehungsebene . Dass wir hier gemeinsam als Jüngerinnen und Jünger Christi miteinander sprechen macht uns von diesem Grundauftrag der Mission her synodal.

Der Synodale Prozess ist seit Herbst 2021 in Gang. Ist Ihr eigenes Wirkungsfeld in dieser Zeit synodaler geworden?

Federer: In unserer Ordenstradition haben wir viel Synodalität bereits in unseren Strukturen verankert. Der Abt in einem Kloster führt, eingebettet in das Mittdenken und Mittun der ganzen Gemeinschaft.  Bei Abstimmungen hat er als einziger kein Stimmrecht. Die Schweizer Bischofskonferenz blieb früher meist unter sich. Jetzt treffen wir uns bei jeder Versammlung mit anderen Gruppierungen: Etwa mit der RKZ, dem Frauenbund, den Jugendverbänden. Dieser Austausch ist mir wichtig.

Beyeler: Ich bin in einer Pfarreigruppe engagiert, wo wir zu Beginn jeweils das Synodengebet beten und auch auf den weltweiten Prozess schauen. Dann gibt es in unseren dualen Strukturen immer wieder schwierige Situationen.  Hier sind kleine synodale Schritte möglich: Nicht sofort die Augen verdrehen, einander ganz bewusst zuhören, ein Anliegen aufnehmen und probieren, eine Lösung zu finden…

*Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin des Landeskirchenrats der Katholischen Kirche im Kanton Bern. Urban Federer ist Abt des Klosters Einsiedeln.

 

Mentari Baumann*

Was nehmen Sie mit aus der Rede von Kardinal Grech?

Mentari Baumann: Inhaltlich nichts Neues. Ich bin froh, dass das Stichwort «Glaubwürdigkeit» fiel und dass er sagte, das fehle der Kirche im Moment.  

Er sprach von Mission und Evangelisation. Wie bringen Sie das mit Synodalität in Verbindung?

Menschen distanzieren sich von der Kirche, weil sie nicht mehr glaubwürdig ist. Sie haben das Gefühl, die Kirche beantworte ihre Fragen zum Leben, zur Spiritualität nicht mehr. Mit dem Synodalen Weg könnte man diese Fragen wieder anpacken. So deute ich seine Aussage, das Feuer wieder zu entfachen. Ich verstehe Mission nicht im historischen Sinn als Bekehrung zum christlichen Glauben, sondern so, dass man die Leute wieder neu begeistert für die katholische Kirche, die wir uns wünschen – eine Kirche, die für alle da ist und alle als gleichwürdig sieht und behandelt.

Der Synodale Prozess ist seit Herbst 2021 in Gang. Ist Ihr eigenes Wirkungsfeld in dieser Zeit synodaler geworden?

In der Allianz Gleichwürdig Katholisch entscheiden wir synodal, wir geben Stimmen Raum. Wir haben aus dem Synodalen Prozess gelernt, dass Synodalität Zeit braucht. Wir nehmen uns darum mehr Zeit für alle Stimmen und zum Entscheiden.

Mentari Baumann ist Geschäftsführerin der Allianz Gleichwürdig Katholisch.

Moritz Bauer*

Was nehmen Sie mit aus der Rede von Kardinal Grech?

Moritz Bauer: Er will Menschen für die Kirche begeistern und hat sehr viel von Evangelisation und missionarisch Kirche sein gesprochen. Das kann leicht falsch verstanden werden. Ich glaube, es braucht synodalere Strukturen, damit es überhaupt möglich ist, Leute für die Kirche zu begeistern.

Wie bringen Sie Evangelisation und Mission mit Synodalität in Verbindung?

Das sind theologisch gefährliche Triggerbegriffe, die ich so nicht benutzen würde. Den Grundgedanken teilen wir, aber es ist ein charismatisches Denken. Die Leute hier haben auch viele negative Erfahrungen mit Kirche gemacht. Dass sie da einen Schritt zurückgehen, halte ich für nachvollziehbar. Synodalität bedeutet für mich, die Leute zu unterstützen in ihrer Art, Kirche zu leben. Denn daran scheitern viele: Sie engagieren sich, machen aber immer wieder die Erfahrung, dass es nicht vorangeht, dass sie abgelehnt werden.  

Der Synodale Prozess ist seit Herbst 2021 in Gang. Ist Ihr eigenes Wirkungsfeld in dieser Zeit synodaler geworden?

Es gibt Bistümer, die im Rahmen des Synodalen Prozesses vermehrt auch junge Menschen einbeziehen. Auch die Bischofskonferenz hat uns Jugendverbände zum Gespräch eingeladen.   Auf lokaler Ebene sehe ich noch Potential, das grosse Chancen bietet, Kirche vor Ort zu gestalten. Die Pfarreiarbeit mit Jugendlichen kann noch synodaler sein, wenn sich die Pfarreien überlegen, wie sie junge Menschen, die sich beispielsweise in Jublagruppen engagieren, in Kontakt bringen können mit der Pfarrei. Damit junge Menschen die Möglichkeit haben, ihre Anliegen, ihre Sicht auf Kirche einzubringen. An vielen Orten geschieht das natürlich, aber es ist nicht überall institutionalisiert.

Moritz Bauer ist Präses von Jubla Schweiz.

Luc Humbel und Felix Gmür*

Was nehmen Sie mit aus der Rede von Kardinal Grech?

Felix Gmür: Ich nehme das Anliegen mit, dass wir unsere Mission nicht vergessen. Jenseits aller Einzelentscheidungen, die sehr wichtig sind, ist das ein Grundanliegen: Es geht nicht um uns, sondern um das Evangelium. Gleichzeitig weiss ich, dass das etwas abstrakt und nicht sehr konkret ist.  

Luc Humbel: Ich gewisse Ernüchterung schwingt mit, weil die Rede wenig Bezug hatte zu dem, wie wir als Kirche Schweiz unterwegs sind. Es waren kaum neue Ansätze spürbar, wie sich die Kirche verändern soll.

Er sprach von Mission und Evangelisation. Wie bringen Sie das mit Synodalität in Verbindung?

Humbel: Synodalität kann dazu beitragen, dass wir als Kirche glaubwürdiger unterwegs sind, weil alle gehört werden. Aber evangelisieren können und wollen wir nicht, solange wir nicht glaubwürdig unterwegs sind. Wir müssen also hinschauen, wo und wieso wir Glaubwürdigkeit verloren haben, und Massnahmen ergreifen, etwa Menschenrechte  in der Kirche zulassen, Gleiche Rechte und gleiche Würden, Gewaltenteilung, Machtteilung und so weiter.

Gmür: Synodalität ist eine Aufgabe aller Getauften und es geht alle an, nicht nur die «Profis». Jede/r Getaufte hat den Auftrag zur Mission, so wie er oder sie es gemäss ihren Charismen können. Und es gibt kein besseres oder schlechteres Charisma.

Der Synodale Prozess ist seit Herbst 2021 in Gang. Ist Ihr eigenes Wirkungsfeld in dieser Zeit synodaler geworden?

Gmür: In der Bischofskonferenz beziehen wir bewusst andere in die Entscheidungsfindung mit ein, weil wir das wichtig finden. Wir haben mit der RKZ gesprochen, wir haben mit den Regenten über die Ausbildung von Priestern gesprochen, wir haben mit Ordensleuten über Orden geredet etc.

Humbel: Wenn Pastorale Wegweiser im Bistum Basel nicht autoritär verfügt werden, sondern an einer Versammlung in Bern mit 100 Leuten diskutiert werden, dann ist das ein synodaler Leuchtturm!

*Luc Humbel ist Präsident der katholischen Landeskirche Aargau. Felix Gmür ist Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.

Die folgenden Interviews fanden am Ende der ganzen Tagung statt. Die Antworten nehmen auch Bezug auf Grechs Reaktion auf die Statements aus der Schweizer Kirche.

Eva-Maria Faber und Renata Asal-Steger

Was nehmen Sie mit aus der Begegnung mit Kardinal Grech?

Eva-Maria Faber: Er hat die Einladung bereitwillig angenommen und setzt sich mit der Schweizer Kirche auseinander. Ich nehme aber auch wahr, wie schwer es ihm fällt, unsere neuralgischen Punkte zu sehen. Synodalität gleich auf das Evangelisieren zu beziehen, geht mir zu schnell. Hier fehlt mir die Einsicht, dass wir erst einmal an uns selber arbeiten müssen, wenn wir als Kirche glaubwürdig sein wollen, etwa beim Thema Missbrauch, beim Umgang mit Frauen etc. Es hat mir ein würdigender Blick gefehlt, auf das, was als unser Beitrag zu einer synodalen Kirche zur Sprache kam. Ich habe Wertungen und Zurechtweisungen gehört, so als sei es zu wenig spirituell, strukturelle Fragen und auch die wahrgenommenen Probleme zu thematisieren. Das macht mich traurig.

Renata Asal-Steger: Ich bin ernüchtert und auch ein grosses Stück desillusioniert. Ich spüre eine Kluft zwischen der Welt in Rom und den Anliegen, die wir Anwesenden haben. Seine Antworten waren für mich befremdlich und ausweichend. Einmal verwies er auf das Katholisch-Sein. Da kam  wie ein Vorwurf: «Wisst ihr eigentlich nicht, was katholisch ist?» Das hat mich persönlich verletzt. Das Feuer, von dem er immer sprach, das in uns brennen soll, hat er uns ein Stück weit abgesprochen. Ich hätte eine andere Offenheit erwartet.

Er sprach von Mission und Evangelisation. Wie bringen Sie das mit Synodalität in Verbindung?

Faber: Wir müssen schauen, wie wir die Beziehungen und die Strukturen innerhalb von Kirche so gestalten, dass wir das Evangelium glaubwürdig leben können. Das ist begrüssenswert. Die Frage ist, inwiefern wir wirklich bereit sind, überkommene Strukturen zu verändern, wenn sie uns nicht helfen, in das Evangelium glaubwürdig in unsere Welt hineinzubringen.

Asal-Steger: Mission und Evangelisation sind für mich schwierige Begriffe. Zeugnis ablegen im Alltag, im konkreten Handeln, so versuche ich meinen Glauben zu leben. Es muss eine Freiheit da sein, zum  Glauben zu kommen. Für mich ist es ein Geschenk. Glaubekann man nicht überstülpen.

Der Synodale Prozess ist seit Herbst 2021 in Gang. Ist Ihr eigenes Wirkungsfeld in dieser Zeit synodaler geworden?

Faber: Mit Studierenden nehme ich das Thema Synodalität auf. Wir haben mit den Texten des Vademecum gearbeitet. Die Studierenden knüpfen daran eine Hoffnung, dass sich durch diesen Prozess etwas verändern könnte. Ich habe kürzlich ein Video mit Kardinal Hollerich eingeblendet. Die Studierenden waren sehr angetan davon, weil er darin sagt: « Wir brauchen euch, auch als Theolog:innen.» Das motivierte sie in ihrem eigenen Engagement, Theologie zu studieren und sich in die Kirche von heute und morgen einzubringen.

Asal-Steger: Ich versuche, den Synodalen Prozess im Luzerner Synodalrat und in der Synode näher zu bringen, aber ich merke, dass viele  weit davon entfernt sind. Eine  synodale Haltung ist uns nicht  gänzlich fremd. Im Synodalrat muss man aufeinander hören, und dann erst werden Entscheide gefällt. Da ist ein Miteinander gefragt,  das war in solchen Gremien immer schon so.

*Eva-Maria Faber ist Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie und Rektorin der Theologischen Hochschule Chu. rRenata Asal-Steger, Synodalrätin der Katholischen Landeskirche Luzern

Melanie Hürlimann und Nicola Ottiger*

Was nehmen Sie mit aus der Begegnung mit Kardinal Grech?

Melanie Hürlimann: Ich habe in den Statements viele Anliegen gehört, die nicht neu sind. Aber ich zweifle, ob wir wirklich gehört werden und ob wir einen Schritt weiterkommen. Ich möchte nicht resignieren, bin aber nicht sicher, ob mir das gelingt.

Nicola Ottiger: Dieser Tag spiegelt für mich, in welcher Spannung die Weltkirche zur Ortskirche steht. Auch die Spannung von Lehramt und Theologie. Grech will Menschen für die Kirche begeistern und hat sehr viel von Evangelisation und missionarisch Kirche sein gesprochen. Das kann leicht falsch verstanden werden. Ich glaube, synodalere Strukturen helfen, um Leute wieder für die Kirche zu begeistern.

Wie bringen Sie Evangelisierung und Mission mit Synodalität in Verbindung?

Hürlimann: Natürlich ist die Botschaft des Evangeliums das Ziel, aber Begriffe wie Evangelisierung können auch als Ausrede benutzt werden, um sich nicht mit den Problemen zu befassen, die heute in der Schweiz anstehen, wie etwa die Gleichberechtigung. Das hinterlässt bei mir den Eindruck, dass viele Kleriker  in ihrer eigenen Welt leben.

Ottiger: Natürlich teilen wir das Anliegen, die frohe Botschaft Jesu zu verkündigen. Doch ich frage mich: Kann man  wertfrei anerkennen, dass das Volk Gottes an verschiedenen Orten der Welt an einem anderen Punkt steht? Die Kirche bewegt sich von verschiedenen Orten aus zum Zentrum, das Christus ist. Wird das auch gesehen, oder wird latent unterstellt, dass wir hier in der Schweiz nicht mehr «richtig» glauben? Wenn man den Heiligen Geist ernstnimmt, muss man auch die Vielfalt würdigen. Mit Hilfe des Heiligen Geistes lässt sich mutig mit Synodalität experimentieren und etwas wagen.

Der Synodale Prozess ist seit Herbst 2021 in Gang. Ist Ihr eigenes Wirkungsfeld in dieser Zeit synodaler geworden?

Ottiger: Für mich war es ein Hoffnungszeichen, als der Papst den Bischöfen sagte: «Fragt die Gläubigen. Bringt eine Auseinandersetzung in Gang.» Auch unsere Studierenden als künftige Mitarbeiter:innen der Kirche haben sich beteiligt und sich gefreut, dass sie gefragt werden. Im ökumenischen Bereich merke ich, dass der Weg der römisch-katholischen Kirche sehr beachtet wird. Die Frage der Synodalität der Kirche Jesu Christi ist eine Frage des Aufeinander-Hörens unter den Kirchen. Das weckt echte Hoffnung.

Hürlimann: In der Pfarrei, in der Vereinigung der Katholischen Kirchengemeinden des Kantons Zug (VKKZ) und in der RKZ nehme ich den Prozess sehr stark wahr. Wenn ich mit eher kirchenfernen Katholik:innen spreche, stelle ich häufig fest, dass sie von diesem Prozess keine Kenntnis haben.

Im Kanton Zug sind wir aktuell mit dem Projekt «Kirche mit Zug» unterwegs. Hier beziehen  wir Freiwillige, Hauptamtliche, Kirchenferne  ein. Wir laden alle ein und gehen mit  ihnen auf den Weg. Das wird sehr geschätzt, da ist ein guter und ansteckender Spirit drin! Der Kanton Zug ist klein, man kennt sich, und dies eröffnet tolle Möglichkeiten.

*Melanie Hürlimann ist Geschäftsstellenleiterin der Vereinigung der Katholischen Kirchgemeinden des Kantons Zug. Nicola Ottiger ist Leiterin des Ökumenischen Instituts der Universität Luzern.

Hier erfahren Sie mehr von der Tagung mit Mario Grech in der Rotonda in Bern.

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