Ob politisch links oder rechts - für Béatrice Acklin Zimmermann sollen alle politischen Positionen in der Kirche Platz haben. Foto: Pixabay

Sollten Christ:innen links oder rechts wählen?

Béatrice Acklin Zimmermann und die Wahlen 2023

Es gebe keine christliche Politik und keine christlichen Parteien, aber es gebe in allen Parteien Christen und Christinnen, die gewillt seien, in christlicher Verantwortung Politik zu machen, sagt Béatrice Acklin Zimmermann in ihrem Meinungsbeitrag.

Von Béatrice Acklin Zimmermann

Anfangs der 1960-er Jahre wurde im tiefschwarzen Fricktal unverhohlen von der Kanzel herunter Wahlkampf betrieben: Wer ein guter Katholik sei, sagte der Priester, müsse die Katholisch-Konservative Volkspartei wählen. Tertium non datur. Das bewog meinen Vater, freiheitsliebend und mit dem  Freisinn liebäugelnd, die Kirche fortan nur noch an Weihnachten und Ostern zu betreten.

Ganze 40 Jahre später erklärte der damalige Weihbischof von Chur, Peter Henrici, die SVP sei für einen guten Christen nicht wählbar. Man wird dem streitbaren Kirchenmann zumindest attestieren müssen, dass er sich nach den scharfen Protesten aus sämtlichen Parteien der Diskussion stellte, auch wenn er keine Sekunde daran dachte, Abbitte zu tun.

Heute, zwanzig Jahre später und im Vorfeld der Eidgenössischen Wahlen, dürften die meisten Kirchenvertreter:innen mit solchen Aussagen zurückhaltend sein, und zwar nur schon deshalb, weil einige von ihnen sich in jüngster Zeit mit Abstimmungsempfehlungen allzu sehr aus dem Fenster lehnten und danach zurückbuchstabieren mussten.

Auch wenn sich die Zeiten geändert haben und Pfarrer und Bischöfe den Gläubigen heutzutage kaum mehr vorschreiben, wo sie auf den Wahlzetteln ihr  Kreuzchen zu setzen haben, so meinen doch so manche Kirchenvertreter:innen, einzelnen Parteien regelmässig und öffentlich an den Karren fahren zu müssen: Besonders wenn es um die Migrationspolitik geht, sind sie mit Verurteilungen und pauschalen Verunglimpfungen insbesondere von bürgerlichen Parteien und deren angeblich fremdenfeindlicher Ausländerpolitik schnell zur Stelle.

Es ist schon erstaunlich, wie selbstsicher angesichts der komplexen Migrationsproblematik gewisse Bischöfe wissen oder zu wissen vorgeben, dass eine grosse Zahl an zugewanderten muslimischen Menschen der Schweiz als einem Staat mit abendländischer Kultur zuträglich sei, während genau dieselben Bischöfe innerkirchlich Reformen blockieren, die die sogenannte Gastfreundschaft im Herrenmahl, also die gemeinsame Teilnahme von reformierten und katholischen Gläubigen an Eucharistie und Abendmahl, gestatten würden.

Politisch plädiert man für eine Politik der offenen Grenzen, innerkirchlich werden Mauern zwischen den Konfessionen noch verfestigt. Auch wenn es um Sozialpolitik geht, schiessen Kirchenvertreter:innen schnell einmal aus allen Rohren und bezichtigen gewisse politische Parteien, unbarmherzig und sozial kalt zu handeln. Dabei scheinen sie zu vergessen, dass der Staat nicht einfach barmherzig sein kann wie die Kirche, sondern dass er – wenn er sich nicht dem Vorwurf der Willkür aussetzen will –  nach dem Massstab der Gerechtigkeit handeln muss, die nicht einfach dem Herzen folgen kann, sondern nach Regeln fragen muss.

Wer für sich in Anspruch nimmt, die politische Dimension des Evangeliums zu bedenken, sollte politisch auch zu Ende denken. Die Geschichte lehrt uns, dass Allianzen von Kirche und politischen Parteien, zur Rechten wie zur Linken, stets zu fatalen Verklumpungen führten. Es gibt keine christliche Politik und keine christlichen Parteien, aber es gibt in allen Parteien Christen und Christinnen, die gewillt sind, in christlicher Verantwortung Politik zu machen, und die im Lichte des Evangeliums bei vielen politischen Fragen zu durchaus unterschiedlichen Positionen gelangen können.

Genauso wenig, wie sich politische Lösungen unmittelbar aus der Bibel ableiten lassen, genauso wenig kann es bei den meisten politischen Vorlagen nur eine Antwort aus christlicher Perspektive geben. Entscheidend ist, dass in der Kirche alle politischen Positionen Platz haben und über politische Fragen gestritten werden kann, ohne dass jemandem das Christsein abgesprochen wird. 

Wer in der Politik tätig ist, weiss darum, dass politische Entscheidungen, auch wenn sie zuvor einer Gewissensprüfung unterzogen worden sind, irrtumsbehaftet bleiben. Politik handelt nicht nur von den «vorletzten» Dingen, sondern sie kann nur «vorletzte» Wahrheiten und Erkenntnisse verkünden. Jeder verantwortungsbewusste Politiker und jede verantwortungsbewusste Politikerin wird sich deshalb hüten, quasireligiöse Programme zu verkünden und für den eigenen politischen Standpunkt höhere Mächte zu bemühen.

 

Auf diesen Meinungsbeitrag hat Thomas Wallimann-Sasaki geantwortet.

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