Mensch im Zentrum, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit – Eckwerte der christlichen Soziallehre.
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Wenn Christ:innen wählen gehen …

Meinungsbeitrag von Thomas Wallimann-Sasaki

Christlicher Glaube hat mit der Welt und ihrer Gestaltung zu tun. Dies zeigt sich auch im Abstimmungs- und Wahlverhalten. Doch woran lässt sich dies «messen»? Was macht unsere Entscheidungen «christlich»? Eine Antwort auf den Meinungsbeitrag von Béatrice Acklin-Zimmermann in der Ausgabe Nr. 21.

Von Thomas Wallimann-Sasaki*

Es gibt Stimmen, die Kirche(n) und Religion am liebsten aus der Politik draussen haben möchten. Für sie ist «christliche Politik» kaum möglich und Empfehlungen zu Abstimmungen aus religiöser Perspektive oft nur schwer zu ertragen. Doch wer Religion und damit das «Christliche» auf die persönliche Haltung oder gar das Private reduziert, macht es sich zu einfach.

Wer in christlicher Verantwortung politisch tätig ist – ob bei Abstimmungen oder in der konkreten politischen Arbeit, beispielsweise als Parlamentarier:in, stellt sich unweigerlich die Frage, was dies konkret bedeutet. Weil der christliche Glaube mit dieser Welt zu tun, Nächstenliebe oder auch Sorge für die Schöpfung Teil des Glaubens sind, muss sich dies auch konkret zeigen. Dazu gehört die Gestaltung des Zusammenlebens, das, was Politik ausmacht. Man kann also als Christ:in gar nicht un-politisch sein. Und dies gilt auch für die Kirche selber.

Christlich verantwortlich

Verantwortung betrifft nicht nur die Folgen des Handelns, sondern verweist auch auf die Kriterien, was das Richtige ist. Hier liegt das «Christliche». Christlich handle ich, wenn ich mein Handeln aus meinem Glauben heraus begründe. Ich setze mich etwa für den Klimaschutz ein, weil ich glaube, dass diese Welt Gottes Schöpfung ist und wir Menschen dafür Verantwortung tragen. Dabei wird sichtbar, dass es auch andere Begründungen für das gleiche Handeln gibt. Darum können Christ:innen auch mit Menschen anderer Glaubenshaltung zusammenarbeiten.

Nun gibt es aber auch konkrete Wegweiser, die aus christlicher Tradition heute politisches Handeln leiten können. Diese Wegweiser dienen als Kriterien, ob ich einen Kandidaten oder eine Kandidatin oder auch eine bestimmte Partei wählen soll. Denn nicht alle Parteiprogramme oder Kandidaten erfüllen diese Kriterien.

In der Katholischen Kirche sind dies die Wegweiser der Soziallehre, die in den letzten 150 Jahren in der Auseinandersetzung und Gestaltung der Arbeitswelt entwickelt wurden.

  1. Mensch im Zentrum
    In Anlehnung an die Aussage im Evangelium: Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht umgekehrt, müssen Strukturen und Systeme dem Menschen dienen. Aus christlichem Verständnis sind alle (!) Menschen Brüder und Schwestern und unabhängig ihrer Herkunft oder sozialem Status gleichwertig zu behandeln.
  2. Solidarität
    Benachteiligte und Schwache haben Vorrang, wenn es um die Gestaltung des Zusammenlebens geht. Im Umgang mit ihnen zeigt sich nämlich, ob es einem Politiker oder einer Politikerin wie auch Partei wirklich um den Menschen geht.
  3. Subsidiarität
    Alle sollen ihr Leben frei und verantwortlich gestalten dürfen. Wenn dies aber nicht geht, weil Menschen oder auch Gruppen oder Institutionen an Grenzen stossen oder überfordert sind, müssen die übergeordneten Ebenen Hilfe leisten. Verantwortung muss zwischen einzelnen, den Institutionen der Gesellschaft und dem Staat geteilt werden.
  4. Gemeinwohl
    Als Ziel der Gesellschaftsgestaltung bedeutet es, dass es allen gut geht. Dabei fragt es danach, wer Nutzen hat, Lasten trägt, und ob diese zumutbar sind.
  5. Nachhaltigkeit
    Wer die Welt als Schöpfung sieht, soll Sorge dazu tragen, zur Erde wie auch zum Klima. Diese Sorge ist untrennbar mit einer für Arme und Benachteiligte verbunden. 

Wer also christlich verantwortungsbewusst wählt, wird diese Wegweiser zur Hand nehmen und sich fragen, welche Parteien bzw. Kandidat:innen die Gesellschaft und Welt entsprechend gestalten wollen.

*Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das sozialethische Institut «ethik22» und ist Präsident der bischöflichen Kommission Justitia et Pax.

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