Ein Vertrauensverhältnis zwischen Chorleitung, Vorstand und Chor ist entscheidend: Patrick Secchiari. Foto: Pia Neuenschwander

«Die Stimmung in den ersten Proben war beinahe heilig»

Der Berner Dirigent Patrick Secchiari im Gespräch.

Der Berner Dirigent Patrick Secchiari leitet drei Chöre. Im Interview spricht er darüber, was «sicheres» Proben, gute Kommunikation und die Zukunft von Chören ausmacht.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Wie haben Sie und Ihre Chöre auf den Lockdown reagiert?

Patrick Secchiari: Der Lockdown hat uns alle hart getroffen, wir mussten mehrere Konzerte und Auftritte absagen. Viele Mitglieder haben die wöchentliche Chorprobe sehr vermisst. Aber wir haben stets versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Mit zwei Chören habe ich virtuell geprobt. Mit dem Vokalensemble «ardent» hätte das jedoch keinen Sinn gemacht, da die Sänger:innen die Stücke daheim lernen und wir nur sehr wenig proben.

Wie war die erste Probe nach dem Lockdown?

Als Chorleiter war meine Probe- und Konzerttätigkeit bis auf einen Nachmittag Hochschulunterricht pro Woche komplett eingestellt worden. So war es für mich ein Highlight, als es wieder losging. Die Stimmung in den ersten Proben war bei allen Chören beinahe heilig, fast euphorisch. Alle haben sich sehr darauf gefreut. Einige meinten, ihre Stimmen seien etwas eingerostet, doch ich fand, es klang sehr gut. Nicht alle haben sofort wieder mitgesungen, weil sie gesundheitliche Bedenken hatten. Doch es hat sich gelohnt, so bald wie möglich wieder mit den Proben anzufangen. Natürlich war es schwierig, mit Abständen und Masken zu singen. Aber mir war es wichtig zu zeigen, dass man «sicher» proben kann. Wenn Singpausen zu lang andauern, fällt ein Chor mitunter auseinander.

Was beachten Sie nun?

Momentan ist das Covid-Zertifikat für alle Chöre mit mehr als 30 Mitgliedern obligatorisch. Wir achten darauf, dass die Abstände weiterhin eingehalten werden. Mit «ardent» sind wir auf ein grösseres Probelokal ausgewichen. Inzwischen singen alle wieder in ihren angestammten Räumen.

Wie wirken sich die Corona-Massnahmen aus?

Es gibt Sänger:innen, die weder genesen noch geimpft sind und sich nicht jede Woche testen lassen wollen oder können. Leider singen diese momentan nicht mit. Diese Minderheit ist in meinen Chören noch zu verkraften – bei kleineren kann das aber schnell zu einem existenziellen Problem werden.

Sind ihre Chöre «dieselben» wie vor dem Lockdown?

Nein. Die Pandemie hat einige ältere Menschen dazu geführt, das Chorsingen aufzugeben. Auch jüngere Mitglieder haben die chorfreie Zeit genutzt, um ihre Freizeit neu zu gestalten. Interessanterweise hat es in all meinen Chören auch Zuwachs gegeben.

Inwiefern beeinflusst die Pandemie Ihre Programmwahl und die nächsten Konzerte?

Wir planen jeweils ein bis zwei Jahre im Voraus. Während des Singverbots haben wir die Zukunft flexibel geplant. Das hat die Programmwahl nicht gross beeinflusst, hingegen mussten wir den Zeitplan mehrfach anpassen.

Wieso tun sich manche Chöre schwer?

Es ist entscheidend, dass das Verhältnis zwischen Vorstand, Chorleitung und dem Chor auf Vertrauen aufbaut und man auf die Bedürfnisse der einzelnen eingeht. Kommen weitere Player dazu, wird die Situation noch komplexer. Kommunikation ist in jeder Situation enorm wichtig. Bei grossen Entscheiden muss der Chor unbedingt auch befragt werden. Das haben meine Vorstände während der Pandemie mehrfach gemacht. So merkt man schnell, wie sich die Mitglieder zum Chor bekennen und kann entsprechend reagieren. Bei zwei meiner Chöre wurde zum Beispiel klar, dass ich virtuelle Proben anbieten musste.

Wie sehen Sie der Zukunft von Chören entgegen?

Ich bin inzwischen wieder zuversichtlich. In meinen Chören ist der Zusammenhalt gewachsen. Bei einigen Kirchenchören ist die Krise wohl noch länger nicht vorbei. Man sollte die Lage nutzen, um neue Formate zu kreieren. Musik kann helfen, Grenzen zu überwinden. Auch hier müssen Pfarreien mit der Leitung und den Musikern vor Ort aufeinander zugehen und die Bedürfnisse klären. Ist die Not gross genug, gelingen vielleicht auch Fusionen – in weltlichen Chören hat das schon öfters zum Erfolg geführt.

 

Mehr zu Patrick Secchiaris Chorarbeit: www.secchiari.ch


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