Das «Tor zum Paradies» in Lugano. Foto: Michael Blackburn, iStock

Schlafes Bruder

Über die Kunst des Lebens und des Sterbens

«Du bist eine Lebenskünstlerin», sagte eine Freundin kürzlich zu mir. Ich nahm es als Kompliment. Die «Kunst zu leben» (lat. ars vivendi) kann man als unbeschwerten Lebensgenuss, als Savoir-vivre, verstehen. Die französische Redensart «savoir vivre» heisst «verstehen zu leben» und wird ausschliesslich für gute Umgangsformen, also eine erlernte Lebensführung, verwendet.

Lebenskunst kann auch für einen besonnenen Umgang mit den Herausforderungen und Wirren des Lebens stehen. Die Vorstellungen eines guten Lebens sind vielfältig. Die eines guten Todes auch. Die spätmittelalterliche «Kunst des Sterbens» (lat. ars moriendi), eine christliche Vorbereitung auf ein heilsames Sterben bzw. einen guten Tod, gehörte bis zur Aufklärung zur europäischen Philosophie.

«Wer die Menschen sterben lehrt, lehrt sie leben», heisst es bei Michel de Montaigne. In seinem Werk «Philosophieren heisst sterben lernen» empfiehlt er, so früh wie möglich über den eigenen Tod nachzudenken, mit anderen darüber zu sprechen und letztwillige Verfügungen zu erarbeiten.

Am Inselspital ermutigt der Psychoonkologe Andreas Wünsch Krebspatient:innen, über ihre Ängste zu sprechen, mitunter auch übers Sterben. Wer für den Ernstfall vorsorgen möchte, ist bei Pro Senectute an der richtigen Adresse. Die Bestatter Roman Gisler und Reto Zumstein werden jeden Tag mit dem Tod konfrontiert. Beide machen ihre Arbeit gern und wissen um ihre Grenzen.

J. S. Bachs Kreuzstabkantate endet mit dem Choral «Komm o Tod, du Schlafes Bruder». Der Psychologe und Gerontologe Andreas Kruse sieht darin eine Gefasstheit und die Gewissheit, «dass der Tod einen Abschluss, aber auch den Ausgangspunkt des ewigen Lebens markiert».

Anouk Hiedl
«pfarrblatt»-Redaktorin

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.